Palling/Port-au-Prince. In HAITI geht alles ein wenig langsamer. Diese Erfahrungen hat der Verein „HAITI Kinderhilfe e.V.“ im Laufe des letzten Jahres seit dem verheerenden Erdbeben gemacht – und jetzt auch Susa Reiter aus Geiselfing in der Gemeinde Palling, die am Montag von einer 14-tägigen HAITI-Reise zurückgekommen ist. Geld wäre da, sagt die 47-jährige Schatzmeisterin des Vereins, aber die Baumaßnahmen gehen extrem langsam voran. So konnte die Schule im Slumviertel „Cité Soleil“ in der Hauptstadt Port-au-Prince, für die dank der Spendenaktion Ihrer Lokalzeitung letztes Jahr die Rekordsumme von 131 108 Euro eingegangen sind, noch nicht saniert werden. Lediglich die Mauer um das Gelände ist für gut 40 000 Dollar wieder aufgebaut worden.
Mit diesem Buchstabenplakat bedanken sich die Kinder der Schule im Slumviertel Cité Soleil in der HAITIanischen Hauptstadt Port-au-Prince bei den Lesern des Trostberger Tagblatt, des Traunreuter Anzeiger und der Südostbayerischen Rundschau, die mehr als 131 000 Euro gespendet hatten. Es war die größte Hilfsaktion in der Verlagsgeschichte Ihrer Lokalzeitung.
Der Hintergrund: Die Schule, in der rund 550 Schüler von der Grundschule bis zur Berufsschule unterrichtet werden, war durch das Erdbeben stark beschädigt worden. Nach ersten Untersuchungen hieß es, das Gebäude müsse abgerissen werden. Ein nochmaliges Gutachten eines Architekten und Statikers ergab dann aber, dass das Gebäude stehen bleiben kann, wenn das Dach erneuert wird. Denn auf dem Wellblechdach war eine dicke Schicht Beton aufgebracht, was zusammen einfach zuviel Druck darstelle. Würde das Dach durch eine leichtere Konstruktion ersetzt, könnte das Schulgebäude dann repariert werden.
Der aktuelle Stand, wie Susa Reiter ihn nach dem Augenschein vor Ort beschreibt, ist wie folgt: Obwohl das Dach noch nicht erneuert ist, findet in derSchule längst wieder Unterricht statt. Zusätzlich ist bereits mit dem Bau einer Ambulanz begonnen worden. Dies war möglich, weil die Mauer eigentlich mit 60 000 Dollar veranschlagt war, tatsächlich aber für gut 40 000 Dollar zu verwirklichen war. In den kommenden Sommerferien, wenn keine Kinder an der Schule sind, soll das Dach abgebaut und ein neues errichtet werden. Der Kostenvoranschlag für Abriss, Abtransport und Entsorgung des alten Daches sowie Bau des neuen liegt bei 140 000 Dollar. Dabei hofft der Verein, dass Eltern zum Arbeiten mit eingebunden werden können, damit die Maßnahme billiger wird. Die Baupreise in HAITI, so Susa Reiter, „haben sich verzigfacht. Bauen kostet mehr als bei uns.“
Befremdlich ist dabei auf den ersten Blick, dass so viel Geld für eine Mauer ausgegeben wurde, die über drei Meter hoch ist und oben von einer Stacheldrahtrolle zusätzlich gesichert ist. Susa Reiter erklärt: „Um die Schule wurde eine Mauer gebaut, für die 60 000 Dollar veranschlagt waren. Um jedes größere Gebäude im Lande gibt es eine Mauer, sonst wird geplündert, weil die Armut so groß ist.“ Der Mauerbau ist etwas günstiger geworden als veranschlagt. Vom übrig gebliebenen Geld haben die Salesianerinnen, deren Orden Träger der Schule ist, eine Ambulanz aufgebaut, „eine Oase mitten im Slum für Tausende von Leuten, die medizinische Betreuung brauchen.“ Geplant ist auch noch eine Biogasanlage, gespeist von den Toiletten, die nicht Strom, sondern Gas zum Kochen erzeugen soll.
Für Susa Reiter als Schatzmeisterin des Vereins war 2010, das Jahr nach dem Erdbeben, ein sehr stressiges Jahr, hatte sie doch die vielen Spenden zu verwalten. Bis dahin war sie erst einmal in HAITI gewesen, im Jahr 2001, als sie Edine, jetzt elf Jahres alt, ihr erstes von zwei Adoptivkindern, von dort abgeholt hat. Zwei Jahre später kam auch Lucas, heute neun Jahre alt, zur Familie. Nach dem Erdbeben hatte Susa Reiter jetzt erstmals die Gelegenheit, die Situation vor Ort zu sehen.
14 Tage waren sie und zwei weitere Vereinsfunktionäre jetzt bei den Projekten des Vereins unterwegs, „eine wunderschöne, wenn auch sehr anstrengende Unternehmung“, wie sie sagt. Denn der Verein „HAITI Kinderhilfe e.V.“, so klein er mit rund 150 Mitgliedern auch sein mag, hat dort eine Menge aufgebaut und angestoßen – auch schon lange vor dem Erdbeben. Zum einen gibt es um die 150 Schulpatenschaften, in deren Rahmen die Paten einen regelmäßigen Beitrag pro Jahr leisten, der für die Schulausbildung und eine Grundausstattung sowie für ein regelmäßiges tägliches warmes Essen verwendet wird.
Zum anderen hat der Verein den Bau beziehungsweise die Erweiterung von vier Schulen verwirklicht und ein kostenloses Kinderbehandlungsprojekt für Slumkinder ins Leben gerufen, das in einem in früheren Jahrenvom Verein finanzierten Krankenhaus durchgeführt wird. Und man unterstützt ein Ernährungs- und Ausbildungsprogramm für Kindersklaven. Dabei ist der Verein bei keinem der Projekte selbst Träger. Vielmehr überlässt man die Trägerschaft in der Regel kirchlichen Organisationen. Damit dieser Projekte vor Ort einigermaßen laufen, gibt es ein Team, das sich im Wesentlichen aus jungen Erwachsenen zusammensetzt, denen es über die Patenschaften möglich war, eine Schulausbildung zu absolvieren. Mit denen steht der Verein in ständigem Kontakt, wie Susa Reiter sagt. Von den Patenkindern haben übrigens viele das Erdbeben überlebt, weil sie größtenteils aus den Slums kommen, in denen es kaum feste Häuser gibt.
Für die Zukunft gibt es eine Fülle an Ideen, deren Realisierung aber erst im Vorstand des Vereins diskutiert und möglicherweise auch abgesegnet werden soll. Ein Heim für geistig behinderte Kinder bedarf dringend der Sanierung. Schulen sollen mit moderneren Kochsystemen ausgestattet werden. Beim so genannten „Löffelprojekt“ geht es darum, alle Kinder der Einrichtungen mit Teller, Becher und Löffel auszustatten. Bisher werde, so Susa Reiter, oft gemeinsam aus einer Schüssel gegessen, wodurch die Gefahr besteht, dass sich die Kinder gegenseitig anstecken. Da sauberes Wasser eines der größten Probleme des Landes ist, sollen Wasseraufbereitungsanlagen für Schulen errichtet werden.
Dann ist möglicherweise noch ein landwirtschaftliches Projekt ins Auge gefasst: In einer Kooperative mit 400 Bauern werden Maniok und Erdnüsse angebaut, die von einer Organisation aufgekauft werden, die für 13 500 Schulkinder Schulspeisung organisiert. Diese Kooperative würde gern ein Gebäude für die Mühlen und die Presse bauen und einen Brunnen bohren. Mit dieser Initiative würde der Verein erstmals auch außerhalbder Stadt aktiv werden, was zu begrüßen wäre, da die Situation auf dem Land ebenfalls katastrophal sei. Bis solche Projekte allerdings begonnen werden können, „braucht es schon einen langen Atem“, sagt Susa Reiter. Positiv wirkt sich aus, dass ein ehemaliger Schüler des Patenprojekts Bauingenieur ist, der sich um Projekte kümmert: „Darauf sind wird sehr stolz“, so die engagierte HAITI-Helferin.
Und dann gibt es noch ein Projekt, das schon angelaufen ist: Alle Familien der Patenkinder werden mit einer stabilen Solarlampe ausgestattet, die für die Abende in den Hütten den notwendigen Strom liefert. Die Bausätze werden in Deutschland gekauft und vor Ort zusammengebaut. Ziel des Vereins ist es, die Lebensumstände der Kinder zu verbessern, mit einem Schwerpunkt auf Schule und Ausbildung. Allerdings kümmert man sich auch um medizinische Versorgung und Ernährungsprojekte.
Text: Hans Eder
http://www.chiemgau-online.de/index.php?Es-braucht-einen-langen-Atem&arid=1258295&cosearch=haiti&coshow=ar_1258295&costart=0&pageid=35
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