Montag, 6. September 2010

erster reisebericht

Liebe FreundInnen der Haiti-Kinderhilfe,


Stephan ist es erstmals gelungen, eine Mail durchzubekommen. Er ist seit Donnerstag in Haiti und hat auch schon einiges unternommen, aber zu allererst zeigte er sich geschockt, wie wenig sich seit März verändert hat. Nur an ganz wenigen Gebäuden seien Baumaßnahmen im Gange, an einigen arbeiteten Menschen bei der Trümmerräumung - noch immer ohne schweres Gerät und noch immer scheinbar völlig unkoordiniert. Die meisten Ruinen seien aber völlig unverändert und dokumentierten den erschreckenden Stillstand. Sicher hatte er von allen Seiten davon gehört, meinte er, aber so krass habe er es sich nicht ausmalen können, dass wirklich auch die gutsituierten HaitianerInnen ihre Häuser nicht reparieren lassen könnten. In der ganzen Stadt herrsche ewiger Stromausfall, das gesamte Viertel von Schwester Marthe habe seit über einer Woche gar keinen Strom, weshalb mittlerweile auch die Handy- und Laptopakkus leer seien und gar keine Kommunikation mehr möglich sei. Zugleich regne es jeden Abend stundenlang. Seine Fahrt nach San Marc, wo er sich über den Schulausbau informierte und die neuen Patenkinder begrüßte, sei auf den aufgeweichten Straßen abenteuerlich gewesen. Sie hätten mehrere geländegängige Fahrzeuge gesehen, die abgerutscht seien, teils sogar nur um Haaresbreite am Wagen des Haiti-Kinderhilfe-/Tonel-pa-nou-Teams vorbei. Jede Unternehmung werde dadurch enorm erschwert, an die Lebensumstände in den Lagern möge er gar nicht denken.

Seine Mail konzentrierte sich aber eigentlich auf das Patenschafts-treffen, das am Wochenende für die Patenkinder aus Port-au-Prince stattgefunden hatte. Wie unsere Patenschafts-beauftragte, Barbara Meisig,
ja schon im Rundbrief und den Paten auch direkt mitgeteilt hatte, haben ja tatsächlich wie durch ein Wunder alle unsere Schützlinge überlebt. Sie versammelten sich, um ihre Zeugnisse bestätigen zu lassen, die Umstände zu schildern, wie sie ab 4. Oktober an ihren Schulen unterrichtet werden sollen, ihre neuen Schulbücher abzuholen und die Bildungsschecks zu erhalten, mit denen sie das Schulgeld für das nächste Trimester begleichen. Es scheint so, berichtete Stephan, dass viele Bildungseinrichtungen ihre Tarife erhöht haben, um sich irgendwann einen Neubau leisten zu können. Momentan würden die einzelnen Forderungen durchkalkuliert, aber es
sehe sehr danach aus, dass das bisherige Budget nicht mehr ausreiche. Vor einigen Jahren sei uns während einer vorübergehenden Inflation der starke Euro-Kurs gegenüber dem US-Dollar entgegen-gekommen und habe einen Großteil der Erhöhungen ausgeglichen, sagte Tonel-pa-nou-Buchhalter Laveus Viltus. Vielleicht gelinge das ja wieder. Bis zur Jahreshauptversammlung der Haiti-Kinderhilfe am 25. September wolle er aber belastbare Zahlen vorlegen.

Schon in früheren Jahren waren die Unterlagen der meisten Schüler beim ersten Treffen des Schuljahrs nicht komplett gewesen. Durch das Erdbeben hatten natürlich noch weniger Kinder ihre Papiere beisammen. Stephan hatte vor allem für die Kleineren unter ihnen viel Bedauern übrig, denen der Durchblick
rasch fehlte, an was es noch mangelte. Beim Warten nutzten auch einige die Gelegenheit, gleich die Weihnachtspost für ihre Paten zu gestalten. Auf Nachfrage erklärten ihm die Kinder, dass sie nicht etwa auf den letzten Drücker arbeiteten, sondern nur bei den Treffen sowohl an Papier als auch an Stifte kämen.

Da die Versorgungslage für die meisten armen Familien auch fast acht Monate nach dem Beben so schwierig ist, hatte der Haiti-Kinderhilfe-Vorstand ja beschlossen, im Sommer noch einmal eine Lebensmittelverteilung für die Patenkinder anzuberaumen. Zum eigentlich geplanten Termin - dem Schuljahresende - hatte es nicht geklappt, weil die wenigstens Schulen offizielle Ferien veranstaltet hatten. Die meisten nutzten die eigentlichen Sommerferien, um den Unterrichtsausfall nach dem Erdbeben auszugleichen. Erst jetzt habe der Großteil der Bildungseinrichtungen den Lehrplan für das Schuljahr abgearbeitet, erklärte Tonel-pa-nou-Chef Acédius Saintlouis. Auch die Abschlussprüfungen seien je nach Stand der Dinge angesetzt und abgehalten worden. Mit Beginn des neuen Schuljahrs am 4. Oktober sollen dann die Termine wieder synchronisiert werden. Egal, ob der Unterricht im Freien, unter Planen oder in Zelten stattfinde. Zum neuen Schuljahr sollen dann auch die Lebensmittelsäcke ausgegeben werden. Das Tonel-pa-nou-Komitee hat Stephan gebeten, trotz der großen Not etwas weniger als an Weihnachten zu verteilen, damit die Säcke am höchsten Feiertag im Jahr etwas Besonderes blieben. Insofern werden in den nächsten Tagen die Märkte nach einheimischem Reis, Bohnen, Mehl und Zucker abgegrast. Der Bedarf soll so weitgehend wie möglich aus lokaler Produktion bestritten werden, damit die heimische Wirtschaft angekurbelt wird. Je nach Spendeneingang und Kassenlage will sich die Haiti-Kinderhilfe dann frühestens im Winter erlauben, für die Lebensmittelsäcke an Weihnachten auch Spenden aus internationalen Beständen zuzulassen.

So viel für heute, Stephan war auch schon zu ersten Antrittsbesuchen bei Schwester Marthe, in Bellanger und am Krankenhaus, wollte aber erst nach tieferen Einblicken in die Projekte seine Berichte dazu schicken.

Liebe Grüße für heute und Danke für all Ihre Unterstützung,
heike fritz (und Stephan Krause)

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