Freitag, 12. Februar 2010

neuigkeiten aus haiti 17

Liebe FreundInnen Haitis,

zum heutigen "Jubiläum" - das Erdbeben war vor genau einem Monat - gibt es in Haiti einen offiziellen Trauertag. In der Nähe des Präsidentenpalastes haben am Morgen Vertreter aller Kirchen der Todesopfer, Verletzten, Obdachlosen und Helfer gedacht. Die Regierung, der seit Wochen so gut wie gar nichts gelingt, hat die Zeremonie über Großbildschirme in die wichtigsten großen Zeltstädte übertragen lassen. Dabei hat sie nochmal betont, dass die Zahl der Toten, um die zuletzt gestritten wurde, vermutlich bei 210.000 liegt. Die vor drei Tagen gemeldete Zahl von 270.000 Toten sei ein Irrtum gewesen, betonte Präsident René Préval. Kommunikationsministerin Marie-Laurence Jocelyn Lassègue verdeutlichte, dass es sich bei der offiziellen Zahl der Toten nur um die in den Massengräbern beigesetzten Opfer handelt. Die tatsächliche Zahl liege deutlich darüber, da vor allem in der ersten Woche Hunderte Leichen von Angehörigen und Nachbarn auf Friedhöfen und an freien Plätzen bestattet worden waren. Schwer verletzt wurden 300.000. Ihr Haus verloren nach offiziellen Angaben mindestens 1,2 Millionen Haitianer, die mit Haiti vertrauten Hilfsorganisationen sprechen jedoch von eher 2,5 Millionen.

Die UNO nahm das Datum zum Anlass, eine Zwischenbilanz ihrer Arbeit zu ziehen. So würden mittlerweile 900.000 Obdachlose regelmäßig mit Wasser versorgt. 1,6 Millionen Betroffene hätten über das World Food Programme Reisrationen für zwei Wochen erhalten. Das größte Problem seien immer mehr die fehlenden sanitären Einrichtungen. Besondere Brennpunkte seien 19 Lager, in denen sich 180.000 Menschen aufhielten. Ähnlich äußerten sich die Hilfsorganisationen Oxfam und Heilsarmee. Sie warnten vor einem Ausbruch von Seuchen. Spätestens wenn in sechs Wochen die Regenzeit beginne, dürfen Fieber- und Durchfallerkrankungen die ohnehin geschwächten Überlebenden der Katastrophe dahinraffen. Hunderte Tote seien dadurch zu erwarten. Auch dürfte die internationale Staatengemeinschaft nicht länger nur über Nothilfen nachdenken, da viele provisorische Unterkünfte an neuralgischen Orten in der Stadt errichtet worden seien, an denen nur deshalb Freiflächen waren, weil dort in jedem Frühjahr Erdrutsche erfolgen. Für die dort angesiedelten Überlebenden müssten rasch stabilere Wohngelegenheiten an sichereren Plätzen geschaffen werden. Bisher hätten noch nicht einmal 50.000 Menschen Material für den Wiederaufbau ihrer Hütten erhalten.


Provisorisches Einzellager auf dem Parkplatz der Villa Créole.

Die Maßnahmen, die die Haiti-Kinderhilfe in den nächsten Wochen anstrebt, passen gut in diese "Zahlenspiele". An unserem Krankenhaus "Centre de Santé de Notre Dame de Lourdes" wollen wir etwa eine kostenfreie Behandlung von verletzten Kindern finanzieren. Momentan müssen noch viele Details abgeklärt weden, von "Welcher Arzt darf davon profitieren?" über "Wie kontrollieren wir Kosten, die nicht in unserem Krankenhaus entstehen?'" bis "Was tun wir bei langfristigen Klinikaufenthalten?". Der endgültige Vorstandsbeschluss dazu ist wegen der vielen offenen Fragen noch nicht gefallen, grundsätzlich wollen wir aber allmählich auch offiziell mitteilen, in welche Richtung wir arbeiten.

Unsere Utopie einer Haiti-Kinderhilfe-Siedlung mit Hütten und einer zentralen Biogasanlage haben wir auch noch nicht aufgegeben. Zwar scheitern schnelle Lösungen noch immer daran, dass viele private Nachweise über Grundbesitz zerstört wurden und das Katasteramt mit den offiziellen Unterlagen vollkommen in Trümmern liegt, aber die zum jetzigen Zeitpunkt möglichen Planungen laufen auf Hochtouren: Wie und wo sichern wir uns langfristig Grund, ohne ihn kaufen zu müssen? Wie muss Holz behandelt sein, damit die in Haiti üblichen Termiten nicht dran gehen? Wie regeln wir den Ein-, aber auch den Auszug von Familien, wenn sie irgendwann einmal Fuß gefasst haben und selbständig leben können?

Ihr seht, es gibt viele Fragen. Je mehr eine Idee heranreift, umso konkreter werden auch die damit einhergehenden Probleme. Aber wir arbeiten dran. Und wenn wir jetzt eben den aktuellen Eilaufruf lesen, den die UNO an alle registrierten NGOs verschickt hat, dass wir uns mehr um die haitianische Landwirtschaft kümmern sollen, weil so viele Flüchtlinge aus Port-au-Prince in den vom Beben unberührten Norden geflüchtet seien, wo jetzt eine Versorgungskrise zu erwarten ist, dann tun sich noch mehr riesige Felder auf, über die wir gar nicht nachzudenken wagen.

Wie hat Ace heute geschrieben? Seine körperlichen Wunden sind in den vier Wochen weitgehend geheilt. Was mit seiner Psyche passiert ist, wolle er lieber noch nicht eruieren. Wenn das jemand sagt, der schon mal einen Flugzeugabsturz überlebt hat, muss uns klar sein, wie sehr unsere Partner uns brauchen. Lasst uns für sie da sein!

Liebe Grüße,
heike fritz & Stephan Krause

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