Abfahrt Richtung Plateau am Samstag um halb sechs Uhr morgens. Kaum Verkehr, Treffen mit Farah am Airport, Treffen mit Guerino und Guivens einige Kilometer weiter. Material und große Pakete werden noch umgeladen auf den großen LKW und dann geht es weiter. Unterwegs fällt alle Anspannung von uns ab. Die Landschaft abwechslungsreich hügelig jedoch kaum Bäume, hin und wieder eine kleine Schlucht bewachsen mit Bananenstauden und Palmen. Wir wollen ein paar Sachen für unser Frühstück einkaufen und begegnen dem ganz normalen Rassismus in Haiti. Um eine Hand Bananen zu kaufen halten wir an einem kleinen Markt an. Wir lassen Farah verhandeln, die Händlerin verlangt natürlich den total überhöhten Preis für „blancs“. Farah verspricht der Händlerin, dass nur sie und Guerino die Bananen essen werden und bekommt die Bananen zu einem Viertel des Preises. Nach gut 2,5 Stunden Fahrt und sieben Flussdurchquerungen sind wir in Banguage und sehen unser Gelände voll von Menschen, die gekommen sind, um ihre Kinder für den Kindergarten anzumelden und sich anzuhören, was Farah über unser Projekt zu sagen hat. Alle tragen ihre besten Kleider. Roswitha stellt Haiti-Kinderhilfe vor und erzählt von unserem Engagement über die vergangenen Jahre. Anschließend erklärt Guerino das ganze Projekt, was wir versuchen wollen und wie wir hoffen mit Hilfe der Eltern möglichst viel davon zu erreichen. Einiges stößt auf Unverständnis, z.B. dass die Kinder meistens verdreckt nach Hause kommen, oder dass Gewalt verbaler, physischer oder mentaler Art auf keinen Fall toleriert wird. Das anvisierte Schulgeld von nur 10 Gourdes im Monat ( ca. 0,20 € ) und die eingeforderte Mithilfe von einem Tag pro Kind und Monat genannt „Engagement der Eltern“ stieß jedoch auf viel Zustimmung.
Informationstag |
Informationstag |
Einschreibung Kindergarten |
Bei der anschließenden Einschreibung kam es zu Geschiebe und Gedränge. Die Einschreibung zog sich den ganzen Nachmittag hin. Wir nahmen nur Kinder aus der nächsten Umgebung auf, da auch das Teil unserer Philosophie ist, die Leute hier im Quartier mit einzubeziehen. Wir kamen mit einigen der Eltern ins Gespräch und erfuhren deren Geschichten. Ein Bauer erzählte uns, dass er jeden Morgen drei seiner vier Kinder nach Maissade zur Schule und zum Kindergarten bringe, sein kleinstes Kind mit drei Jahren trägt er dabei auf dem Rücken, die anderen laufen täglich morgens und mittags die Strecke von jeweils etwa 5 Km. Das geforderte Schulgeld von monatlich ca. 500 Gourdes (ca. 10,--€) könne er kaum aufbringen, wolle aber unbedingt, dass seine Kinder in die Schule gehen. Er hat nun sein jüngstes Kind mit drei Jahren in unserem Kindergarten eingeschrieben und heute schon seinen ersten Arbeitseinsatz hinter sich gebracht.
Die erste Nacht unter freiem Himmel war ein unbeschreibliches Erlebnis. Im Container-Depot schlugen wir unser Lager auf. Mit guter Matratze, Bezug und vermeintlich genug Decken ausgerüstet, waren wir bei totaler Dunkelheit schon um halb sieben bettfertig. Der Sternenhimmel über uns, zum Greifen nah, wir total mitten drin als Teil des Universums. Die Nacht war kalt und feucht. Die Decken tropften regelrecht als wir am Morgen um 5 Uhr total durchgefroren aufwachten. Bis Donnerstag müssen wir durchhalten. Sonntags wollte Farah nach Hause fahren, jedoch wegen des Streiks am Montag rieten viele davon ab, da bereits am Sonntag eine aufgeheizte Stimmung sei. Wir nutzten die Gelegenheit um die Pavillons für den Kindergarten auszustecken und die Spielplätze mit Sandkasten, Rutsche, Klettermöglichkeiten festzulegen. Montagmorgen waren die ersten Bewerber für Lehrerstellen vor Ort, Farah führte souverän die Vorstellungsgespräche und erläuterte unser Konzept. Anschließend besprachen wir mit den Ingenieuren die neuen Bauvorhaben, Verwaltungsgebäude und Kindergarten. Wir gingen zusammen die Wasserzuleitung und Grenzmarkierungen ab, nahmen die fertigen und halbfertigen Arbeiten ab und diskutierten über unsere verschiedenen Ansprüche an eine gut ausgeführte Arbeit. Vor 12 Uhr besuchten wir die Schulen in der Nachbarschaft um unser Projekt und unseren Verein vorzustellen. Überall stießen wir auf Wohlwollen aber mussten gleichzeitig viele Bitten um Hilfe beim Straßenbau, Anschluss an Elektrizität, Einrichtung eines Schulungsraums für Informatik usw. abwehren. Heute am Dienstag sollte Billiguy auf dem Programm stehen, beim Schreiner in Maissade die Tische und Stühle bestellt werden und beim Schneider die Bezüge für die kleinen Kindermatratzen. In Billiguy waren Gespräche mit den Lehrern vorgesehen. Ein Vierteljahr altes Dekret der Regierung Martelly sieht vor, dass alle Lehrer einer Schule einen Abschluss haben müssen, eine Karenzzeit von zwei Jahren ist eingeräumt, in der die Lehrer ihre Abschlüsse nachholen können. Die Lehrer ohne Abschluss sollen nach Ende der Übergangszeit entlassen werden. Für die Lehrer eine unglaublich Härte, da die Seminare enorm viel Geld kosten, pro Semester etwa 20.000 Gourdes. Der Monatsverdienst der Lehrer in Billiguy ist 6.250 Gourdes. Alle sind geschockt, trotzdem versuchen alle betroffenen Lehrer die Schulung zu machen. Der andere Teil des Dekrets sieht vor, dass das Certificat nach der 6. Klasse abgeschafft wird und erst nach der 9. Klasse ein erster Schulabschluss möglich ist. Meiner Meinung nach eine Verschlimmerung für die haitianischen Schüler, die sowieso äußerst selten überhaupt bis zur sechsten Klasse in die Schule geschickt werden. Nun wird es noch schwerer für die Kinder einen Schulabschluss zu bekommen. Die Bevölkerung wird immer weiter in den Analphabetismus zurückfallen anstatt vorwärts zu kommen. Mit der Lehrerin der Vorschule hatten wir ebenfalls ein Gespräch über die Art, wie in Haiti Kindergärten betrieben werden. Sie weiß sehr gut um das Problem, sagte aber- wie Farah am Vortag, dass die Schulen nur Kinder in die ersten Klassen aufnehmen, die bereits schreiben, lesen und rechnen können. Umso wichtiger ist es deshalb unser Projekt nach dem Kindergarten sofort in die Schule übergehen zu lassen. Spätestens in drei Jahren sollte dies passieren.
Hoffentlich beginnt nicht ausgerechnet heute die Regenzeit, wir haben hier noch zwei Nächte zu verbringen. Morgen steht ein Besuch bei Pastor Colas an. Die Abrechnungen der Bauvorhaben sind zu machen und eine Inventurliste für alle eingelagerten Artikel zu erstellen. Am Donnerstag brechen wir früh am Morgen nach Port-au-Prince auf. Wir haben schlechtes Internet hier, deshalb wird dies mein einziger Bericht vom Plateau sein.
Conny Rébert-Graumann
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