heute möchte ich von einem Erlebnis berichten, das vielleicht nicht unbedingt exemplarisch und typisch für die Verteilung der Hilfsgüter in Haiti ist, aber doch zumindest symptomatisch für die Fehler, die man dabei machen kann.
Am Sonntag vergangener Woche wurde ich zufällig Zeuge einer Verteilung von Campingkochern durch das US-Militär auf dem Gelände von Henfrasa. Wie aus dem Nichts standen auf einmal rund zehn bewaffnete amerikanische Soldaten auf dem Sportgelände und bewachten das hintere Einfahrtstor. Sie ließen niemanden mehr durch dieses Tor aufs Gelände, was nur zur Folge hatte, dass am eigentlichen Eingangstor immer mehr Leute auf den Sportplatz drängten. Offensichtlich war den Leuten klar, dass die Präsenz von Militär eine bevorstehende Hilfslieferung ankündigte.
Etwa eine halbe Stunde später fuhr ein Lastwagen, beladen mit schätzungsweise 200 Kartons aufs Gelände. Sofort bildeten sich zwei lange geordnete Schlangen hinter dem Schrittempo fahrenden Truck. Die Campbewohner winkten den Soldaten zu und dankten ihnen lautstark. Ich fragte einen der Wartenden, ob er denn wisse, was verteilt werde, er antwortete: „Nein, aber ich bin froh, dass sie uns überhaupt etwas bringen." Diese Euphorie und Dankbarkeit wurde leider sehr schnell enttäuscht. Die Soldaten luden die Kisten hastig ab und ließen sie von einigen jungen Haitianern in einen der vorhandenen Verkaufsbuden aufstapeln. Sobald alle Kisten abgeladen waren, verließ der Armeelastwagen aber samt sämtlicher Soldaten schleunigst das Gelände. Sofort entstand Unruhe unter den Menschen, und einige sprachen mich an, wieso denn die Soldaten nicht auch die Verteilung übernähmen. Ich konnte nur mit den Achseln zucken und gestehen, dass auch mir nicht klar war, nach welchem Prinzip denn nun die 200 Kisten an die etwa 2.000 wartenden Leute verteilt werden sollten.
Später konnte ich dann auch beobachten, dass mindestens 40 Kisten so nach und nach vom Gelände geschafft und zum Teil in schicke Geländewagen verladen wurden.
Ich konnte den Frust der Menschen total verstehen. Kein Mensch hatte sie informiert, was überhaupt verteilt wurde. Es handelte sich übrigens um Campingkocher, die aufgrund ihrer Bauart mit Holzbefeuerung und Rauchabzugsrohr wahrscheinlich sowieso von wenigen Haitianern wirklich benutzt werden. Ganz abgesehen davon, dass ich zwei Tage vor der Verteilung doch vor den meisten Zelten die klassischen Holzkohlekocher gesehen habe, der Bedarf zumindest in diesem Camp wahrscheinlich also nicht besonders groß war. Es war aber niemand vorher erschienen, um die Zahl der Bedürftigen zu recherchieren, und niemand hatte während der Verteilung dafür gesorgt, dass die Familien, die keine Kochgelegenheit hatten, so einen Ofen auch wirklich zugeteilt bekommen. Und die Mühe, dass man den Leuten vielleicht auch erklärt, wie man das Ding überhaupt zusammenbaut und verwendet, hat sich erst recht keiner gemacht.
Mir kam die ganze Aktion so vor, als stelle man sich vor ein Gehege hungriger Löwen, schmisse ein Steak in die Runde und ermahne die Löwen „gerecht zu teilen und jeden mal beißen zu lassen“. Und in der Presse kann man dann Bilder von sich gegenseitig zerfleischenden wilden Tieren - oder in dem Fall „wild gewordener Haitianer“ - bewundern und sich fragen, ob sich dafür zu spenden lohnt.
Ich weiß, dass es viele Verteilungen gibt, bei denen Sorge getragen wird, dass die Hilfe auch da ankommt, wo sie hingehört, zum Beispiel durch Ausgabe von entsprechenden Berechtigungsscheinen oder die Verteilung nur an Frauen. Ich will auch nicht Pauschalkritik an irgend jemandem üben, aber die Verteilung von Kochern bei Henfrasa war ein beschämendes Zeugnis, wie schnell Hilfe nicht nur zur Farce, sondern sogar zu einer Bedrohung für Leib und Leben derer werden kann, die unsere Hilfe so dringend benötigen.
Die Haitianer würden wahrscheinlich sagen: „Se sòt ki bay, enbesil ki pa pran“ . (Es ist ein Narr, der einfach hergibt, ein Dummkopf, der es nicht nimmt.)
Ich habe auf jeden Fall wieder einmal gelernt, wie wichtig es ist, mit eigenen Augen zu sehen, auf was auch wir als „kleine“ Hilfsorganisation achten müssen, um nicht am Ende als Narren dazustehen.
Liebe Grüße,
Stephan Krause
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