Donnerstag, 21. März 2013

Dienstag 19.3.


Leider kamen wir heute zwar früh weg, mussten aber noch einmal nach San Marc fahren, weil Guivens im Eifer des vergangenen Tages das Handy in San Marc vergessen hatte. Liebenswerterweise kam uns Jean Pierre im wahrsten Sinne des Wortes entgegen, als er das Handy bis zum Ortseingang brachte. So blieb uns der übliche Stop-and-Go-Verkehr erspart. Die Fahrt führte uns zunächst nach Cabaret, wo uns Pater Gilbert zögerlich empfing. Der erste Eindruck war nicht überzeugend. Verstummende Angestellte, eine fast tote Stimmung im Haus, nicht einmal das Angebot eines Glases Wasser. Das Gespräch verlief sehr sachlich und ohne Höflichkeitsfloskeln zielgerichtet. Wir konnten uns über alle unsere Probleme austauschen, die mangelhafte Kommunikation ansprechen; und auch die Frage des Auszahlungsmodus an die Lehrer, bei der wir Unverständnis erwartet hätten, konnten wir zügig zu Gunsten unserer Vorstellungen klären. Immer noch kein Glas Wasser, aber die Toilette durften wir immerhin besuchen. Der Pater und sein Adjutant, der ebenfalls in Bellanger unterrichtet, fuhren dann mit nach Bellanger – mittlerweile in etwas freundlicherer Zuwendung zu uns.
In den Jahren hat sich in Bellanger viel getan, das Dschungeldorf ist zu einer Art Vorort von Cabaret hochgewachsen. Auch wenn noch immer die vielen Bananenplantagen neben den Mangobäumen vorherrschen, so gibt es doch mittlerweile kein Feld, in dem sich nicht eine Familie eine Behausung geschaffen hat. Wie überall werden auch hier die nach dem Erdbeben ausgeteilten blauen Folien als Wänden, Decken, Terrassenüberdach verwendet und geben so dem Land einen ungewohnten farblichen Akzent. Gerade ist Mangoernte, die Straßenränder gesäumt von den noch grünen Früchten, zu Haufen aufgeschichtet. Unsere Schule ist jetzt eine wirkliche Urwaldschule geworden: Der vom plötzlich nach dem Erdbeben aufgetauchten Grundstücksbesitzer gepflanzte Bananenhain reicht schon fast in die Klassenzimmer. Auch das wird ein Punkt am Nachmittag sein. Die Bänke sind bereits im Innenhof aufgestellt. Erstaunlich viele Kinder sind gekommen und begrüßen uns spontan und fröhlich. Wir nehmen hier alle Schüler neu auf, weil Bellanger vorher die Klassenpatenschaften darstellen sollte – die bekanntlich nicht so viel Anklang bei unseren Paten gefunden hatten. Eine Klasse nach der anderen wird abgefertigt, eine Klasse nach der anderen verlässt das Gelände, bis nur noch die Lehrer und leider auch ein Riesenberg von Bonbonpapier übrig bleiben. Das ist noch ein großes, unlösbares Problem, nämlich dass Verpackungen völlig achtlos genau dann und dort fallen gelassen werden, wenn sie ihren Dienst getan haben. Das ganze Land liegt voll und nun auch noch der Schulhof. Die Lehrer werden schließlich in die Toilettenproblematik eingeführt, was, den Gesichtern nach zu urteilen, von manchen nahezu wörtlich aufgefasst wird. Es bleibt ein Thema nahe am Rande des Tabus. Von unseren Biotoilettenvorschlägen, die teilweise bereits in Haiti erfolgreich angewendet werden, will keiner etwas wissen. Es scheint nicht vorstellbar zu sein, Behälter mit dem offensichtlich nicht Aussprechbaren zu entnehmen und zu entleeren. Aber ohne das gibt’s nun einmal keine biologisch sinnvolle Toilette. Das Gespräch wird jäh unterbrochen, als der Verwalter des Grundstücksbesitzers ankommt und zunächst Guivens, dann Roswithas Anwesenheit erforderlich macht. Barbara und ich versuchen mit den Lehrern zu diskutieren, inwieweit es nicht nur sinnvoll, sondern auch zwingend notwendig ist, mit Kindern zu singen oder anderweitig Musik zu machen. Wie könnte es anders sein: Die Lehrerkollegen sehen die Notwendigkeit durchaus, sich selbst aber nicht in der Lage, das zu leisten. Nicht einmal für ein kleines Lied am Anfang eines Tages ist die Bereitschaft da. Aber auch wir sehen uns genötigt, kurze Zeit später der gewichtigen Gruppe der Grundstücksbesprecher beizutreten.
Das wesentliche Ergebnis unserer Grundstücksbesprechung ist, dass wohl wenig Aussicht darauf besteht, das Grundstück so zu begradigen, dass eine optimale Nutzung möglich wird. Wir werden mit Einschränkungen leben müssen. Besonders bei diesem Gespräch erwies sich die Anwesenheit des Paters aber als hilfreich. Der Pfarrer, der Verwalter und Guivens werden sich also weiter um eine Einigung bemühen, wir wollen diese – egal welche – aber noch in diesem Jahr erreichen, um endlich mit unseren Plänen weiterzukommen.
Nachdem wir weiterhin von der Ablehnung der Lehrer gegen das Bioklo erfahren dürfen, kommt nun der schönere Teil des Tages: Die Lehrer hatten ja, da wir in Deutschland keine Informationen erhielten, seit Oktober keine Gehälter mehr bekommen. Jetzt also war der Tag der Abrechnung gekommen: Alle erhalten Schecks mit dem ausstehenden Lohn und noch dazu eine TiSoleil-Lampe von uns. Vermutlich haben sie so recht gar nicht begriffen, was ihnen da geschehen ist, denn der Dank ist sehr verhalten, besser gesagt sprachlos. Erst auf dem Weg zu 11 Personen in und auf dem Auto nach Cabaret wurden sie etwas beredsamer und verabschiedeten sich sehr freundschaftlich von uns.
Der Rückweg nach PaP zeigte dann einmal mehr, wie viel sich mittlerweile in Haiti seit dem Erdbeben getan hat: Die Zeltstädte („Cite bleu“ – wegen der blauen Planen, die nach dem Erdbeben wohl zu Millionen verteilt wurden) dünnen wirklich mehr und mehr aus, manche Sportplätze sind längst wieder bespielbar. Und nur ein Gebäude konnte ich von der Straße aus erkennen, das zusammengestürzt war: Aber das war eines der Grabhäuser auf einem Friedhof! Man kann da wirklich nichts Böses über die Haitianer sagen: Dieses Grossaufräumen muss eine organisatorische Meisterleistung gewesen sein.
Morgen früh werden wir schon um 05:30 von Roswitha abgeholt, um uns für zwei Tage auf das Hochplateau, also Richtung Billiguy und Maissade zu begeben.
Viele Grüße nach Deutschland und herzliches Beileid, wir wissen von eurem Wetter...
Andreas

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