Patenschaften |
Nachmittags fahre ich mit Guivens nach Bellanger, um mich dort mit dem Pater und dem Verwalter des Grundstücks zu treffen. Wir wollen das Grundstück ausmessen, die Streitigkeiten um die Mangobäume beseitigen (möglichst ohne die Bäume selbst zu beseitigen) und abtrassieren. Die Einigung ist für uns Grundlage für einen dringend notwendigen Weiterbau. Endlich! Alles ist vermessen und festgelegt, die Lösung ist für uns und den Verwalter befriedigend, ich fertige schnell noch einen zweiten Plan mit den Maßen an und überreiche ihn dem Verwalter. Doch dieser meint, er brauche ihn nicht, schließlich habe er doch den alten, offiziellen Plan zu Hause!
Eigentlich fürchte ich, zu spät zurück zu kommen, aber Roswitha und Barbara arbeiten nach wie vor an den Patenschaften.
Erst gegen 20:30 können wir hier die Zelte abbrechen und zurück in unsere Unterkünfte fahren. Als wir im Walls ankommen, wird gerade das Abendessen weggeräumt – eine Minute später, und wir hätten hungrig ins Bett fallen müssen.
Sonntagmorgen, 24.03.: Kein Ausschlafen, obwohl erstaunlicherweise die Bauarbeiter seit Samstagabend die Kellen (und vor allem die Hämmer) ruhen lassen. Man erinnere sich: Sie legen sonst lediglich zwischen 05:00 und 06:00 eine kurze Pause ein! Doch Roswitha fährt mit uns in die Seeds-Schule, weil dort sonntags Gottesdienst einer lutheranisch orientierten Kirche stattfindet. Die Schule liegt in einem Bezirk mit wohlhabenden Bewohnern, wird aber vor allem von den Schüler besucht, die dazwischen leben: Am Straßenrand, in Niederungen, die bei starken Regen schon einmal überschwemmt sind, und an den besonders steilen Abhängen der Umgebung. Auch der Gottesdienst wurde ausschließlich von diesen Leuten besucht. Man kann sich darunter sehr gut die Marktfrauen vorstellen, die Kinder, die an Straßenkreuzungen Scheiben putzen wollen. Männer sind kaum da, und wenn, dann sind sie in irgendeiner Weise an der Zeremonie beteiligt.
Man fühlt sich geehrt, dass wir dabei sind, wir müssen vorne sitzen. Es fällt uns zunächst schwer, mit zu klatschen, mit dem Fuß zu wippen oder wenigstens zu lachen. Doch die Konzentration, die Leichtigkeit, die unvermittelte Teilnahme der Gottesdienstbesucher reißt uns auch mit. Für uns mögen die Gesänge gewöhnungsbedürftig sein, auch die die völlig losgelöste und hemmungslose Hingabe, mit der gesungen, gebeten, Halleluja!gerufen wird. Aber sie ist echt. Sie ist unmittelbar und überzeugend. Da mag unsere Kant’sche Aufgeklärtheit (begriffen und verinnerlicht haben ihn sowieso maximal 10% von uns, vor allem, was die öffentliche Vernunft betrifft) noch so warnen oder auf Kritikfähigkeit (vor allem gegenüber anderen) pochen, was dort geschieht, was äußerlich sogar Ähnlichkeit zu der von uns so gerne als primitiv belächelten Voodoo-Ergriffenheit hat, ist von uns nicht bewertbar. Wer sind wir, dass wir glauben, uns in unserem Urteil über Leute erheben zu können, von denen wir noch nichts begriffen haben? Uns wurde von einfachen Menschen gesagt, die Hilfe nach dem Erdbeben sei bei ihnen nicht angekommen, nicht einmal die Kirchen habe man ihnen wieder aufgebaut. Diese Aussage zeigt doch, wie wichtig ihnen Gott, der Glaube und die Religion ist. Und während ihres Singens, des Klatschens und der Halleluja, Grace à Dieu oder Meci Dieu-Rufe gestalten sie ihr Leben, tanken sie die Gewissheit, dass es in ihrem Leben Wichtiges gibt, dass sie auf dieser Erde gewünscht und gewollt sind, auch wenn ihre Realität das kaum vermuten lässt.
Wenn wir auf dem Land ein Projekt einrichten, wenn wir uns der Akzeptanz, sogar des Schutzes der Nachbarn versichern wollen, wenn das, was wir errichten, eine Sache der Bewohner der Region werden soll, dann dürfen wir diesen Aspekt nicht unbeachtet lassen, auch wenn wir uns als Verein politisch und weltanschaulich neutral zeigen wollen. (Das ist übrigens meine Privatmeinung, die nicht mit dem Rest des Vorstands abgesprochen ist – die Zeit haben wir leider gar nicht!)Der am Samstag getauschte Wagen war für unsere Vorstellungen Schrott, auch wenn er vermutlich in den Straßen von Port-au-Prince als neuwertig durchgehen würde: Getriebe und Kupplung defekt, Zentralverriegelung und Türöffner nicht funktionsfähig, Lagerschäden an der Vorderachse und kaputte Bremsen. 98.000 km in Haiti lassen ein Auto natürlich schneller altern, aber für uns, die wir noch aufs Land fahren wollen, nicht akzeptabel. Also fuhren erneut zu Avis, um den Wagen zu tauschen. Eigenartigerweise war der vorherige Wagen, der bis Montagabend repariert sein sollte, bereits fertig.
Nach vielleicht 90 min Wartezeit auf einen gewaschenen Wagen (man hat sich wohl sehr viel Mühe gegeben) fahren wir kurz noch zum „Maison des Anges“, dem Waisenhaus von Gladys. Gelegen in einer bevorzugten Wohngegend wurde das Haus mit hohem finanziellem Aufwand vor allem aus Frankreich, aber auch von deutschen Adoptionsvermittlern ausgebaut. Es hat technisch wie funktional einen hohen Stand, allein drei Industriewaschmaschinen stehen zur Verfügung. Auf einem zweistöckigen Turm sind 2 Wasserbehälter und sorgen dort oben für den notwendigen Wasserdruck. Solarzellen auf dem Dach liefern die elektrische Energie. Dieses Haus ist ein echter Lichtblick. Sogar die Außenwand der Umfriedung wurde im Sinne Nicki de St.Phalles mit Spiegeln und bunten Fliesen ornamental gestaltet. Leider ist Gladys nicht zu Hause, wir können aber mit dort untergebrachten Adoptiveltern sprechen, die bereit sind, für uns einige (viele) Papiere des Ti-Moun-Projektes mit nach Deutschland zu nehmen. Auch wenn das Grundstück ziemlich begrenzt ist, sind wir beeindruckt von dieser Einrichtung: Essensduft liegt in der Luft, Kinderlachen, ganz offensichtlich wieder eine von den Sachen, die hier gut funktionieren. Nächste Station ist Henfrasa, wo wir ab 14:00 wieder Patenkinder registrieren und mit ihren Schecks beglücken. Es ist heute bedeckt und schwül-warm, aber laut Internet sind in Deutschland Temperaturen bis zu -8°, das versöhnt mit der leicht verschwitzten Haut hier…
Liebes Deutschland, halte aus, es wird auch wieder Frühling. Früher oder später!
Andreas
Grundstückvermessung im Bananenhain |
Eigentlich fürchte ich, zu spät zurück zu kommen, aber Roswitha und Barbara arbeiten nach wie vor an den Patenschaften.
Erst gegen 20:30 können wir hier die Zelte abbrechen und zurück in unsere Unterkünfte fahren. Als wir im Walls ankommen, wird gerade das Abendessen weggeräumt – eine Minute später, und wir hätten hungrig ins Bett fallen müssen.
Sonntagmorgen, 24.03.: Kein Ausschlafen, obwohl erstaunlicherweise die Bauarbeiter seit Samstagabend die Kellen (und vor allem die Hämmer) ruhen lassen. Man erinnere sich: Sie legen sonst lediglich zwischen 05:00 und 06:00 eine kurze Pause ein! Doch Roswitha fährt mit uns in die Seeds-Schule, weil dort sonntags Gottesdienst einer lutheranisch orientierten Kirche stattfindet. Die Schule liegt in einem Bezirk mit wohlhabenden Bewohnern, wird aber vor allem von den Schüler besucht, die dazwischen leben: Am Straßenrand, in Niederungen, die bei starken Regen schon einmal überschwemmt sind, und an den besonders steilen Abhängen der Umgebung. Auch der Gottesdienst wurde ausschließlich von diesen Leuten besucht. Man kann sich darunter sehr gut die Marktfrauen vorstellen, die Kinder, die an Straßenkreuzungen Scheiben putzen wollen. Männer sind kaum da, und wenn, dann sind sie in irgendeiner Weise an der Zeremonie beteiligt.
Man fühlt sich geehrt, dass wir dabei sind, wir müssen vorne sitzen. Es fällt uns zunächst schwer, mit zu klatschen, mit dem Fuß zu wippen oder wenigstens zu lachen. Doch die Konzentration, die Leichtigkeit, die unvermittelte Teilnahme der Gottesdienstbesucher reißt uns auch mit. Für uns mögen die Gesänge gewöhnungsbedürftig sein, auch die die völlig losgelöste und hemmungslose Hingabe, mit der gesungen, gebeten, Halleluja!gerufen wird. Aber sie ist echt. Sie ist unmittelbar und überzeugend. Da mag unsere Kant’sche Aufgeklärtheit (begriffen und verinnerlicht haben ihn sowieso maximal 10% von uns, vor allem, was die öffentliche Vernunft betrifft) noch so warnen oder auf Kritikfähigkeit (vor allem gegenüber anderen) pochen, was dort geschieht, was äußerlich sogar Ähnlichkeit zu der von uns so gerne als primitiv belächelten Voodoo-Ergriffenheit hat, ist von uns nicht bewertbar. Wer sind wir, dass wir glauben, uns in unserem Urteil über Leute erheben zu können, von denen wir noch nichts begriffen haben? Uns wurde von einfachen Menschen gesagt, die Hilfe nach dem Erdbeben sei bei ihnen nicht angekommen, nicht einmal die Kirchen habe man ihnen wieder aufgebaut. Diese Aussage zeigt doch, wie wichtig ihnen Gott, der Glaube und die Religion ist. Und während ihres Singens, des Klatschens und der Halleluja, Grace à Dieu oder Meci Dieu-Rufe gestalten sie ihr Leben, tanken sie die Gewissheit, dass es in ihrem Leben Wichtiges gibt, dass sie auf dieser Erde gewünscht und gewollt sind, auch wenn ihre Realität das kaum vermuten lässt.
Wenn wir auf dem Land ein Projekt einrichten, wenn wir uns der Akzeptanz, sogar des Schutzes der Nachbarn versichern wollen, wenn das, was wir errichten, eine Sache der Bewohner der Region werden soll, dann dürfen wir diesen Aspekt nicht unbeachtet lassen, auch wenn wir uns als Verein politisch und weltanschaulich neutral zeigen wollen. (Das ist übrigens meine Privatmeinung, die nicht mit dem Rest des Vorstands abgesprochen ist – die Zeit haben wir leider gar nicht!)Der am Samstag getauschte Wagen war für unsere Vorstellungen Schrott, auch wenn er vermutlich in den Straßen von Port-au-Prince als neuwertig durchgehen würde: Getriebe und Kupplung defekt, Zentralverriegelung und Türöffner nicht funktionsfähig, Lagerschäden an der Vorderachse und kaputte Bremsen. 98.000 km in Haiti lassen ein Auto natürlich schneller altern, aber für uns, die wir noch aufs Land fahren wollen, nicht akzeptabel. Also fuhren erneut zu Avis, um den Wagen zu tauschen. Eigenartigerweise war der vorherige Wagen, der bis Montagabend repariert sein sollte, bereits fertig.
Nach vielleicht 90 min Wartezeit auf einen gewaschenen Wagen (man hat sich wohl sehr viel Mühe gegeben) fahren wir kurz noch zum „Maison des Anges“, dem Waisenhaus von Gladys. Gelegen in einer bevorzugten Wohngegend wurde das Haus mit hohem finanziellem Aufwand vor allem aus Frankreich, aber auch von deutschen Adoptionsvermittlern ausgebaut. Es hat technisch wie funktional einen hohen Stand, allein drei Industriewaschmaschinen stehen zur Verfügung. Auf einem zweistöckigen Turm sind 2 Wasserbehälter und sorgen dort oben für den notwendigen Wasserdruck. Solarzellen auf dem Dach liefern die elektrische Energie. Dieses Haus ist ein echter Lichtblick. Sogar die Außenwand der Umfriedung wurde im Sinne Nicki de St.Phalles mit Spiegeln und bunten Fliesen ornamental gestaltet. Leider ist Gladys nicht zu Hause, wir können aber mit dort untergebrachten Adoptiveltern sprechen, die bereit sind, für uns einige (viele) Papiere des Ti-Moun-Projektes mit nach Deutschland zu nehmen. Auch wenn das Grundstück ziemlich begrenzt ist, sind wir beeindruckt von dieser Einrichtung: Essensduft liegt in der Luft, Kinderlachen, ganz offensichtlich wieder eine von den Sachen, die hier gut funktionieren. Nächste Station ist Henfrasa, wo wir ab 14:00 wieder Patenkinder registrieren und mit ihren Schecks beglücken. Es ist heute bedeckt und schwül-warm, aber laut Internet sind in Deutschland Temperaturen bis zu -8°, das versöhnt mit der leicht verschwitzten Haut hier…
Liebes Deutschland, halte aus, es wird auch wieder Frühling. Früher oder später!
Andreas
Toller Blog! Ich lese fleißig mit und habe großen Respekt vor dem was ihr da tut.
AntwortenLöschenLiebe Grüße Sebastian