Sonntag, 31. Januar 2010

neuigkeiten aus haiti 12

Liebe FreundInnen Haitis,

allmählich ebbt nicht nur die Berichterstattung über die Lage in Haiti ab, sondern auch das Interesse der UnterstützerInnen. Das Telefon hat heute deutlich seltener geklingelt, und so konnten wir anfangen, die Spendeneingänge der vergangenen Wochen ordentlich zu verwalten. Dabei mussten wir feststellen, dass wirklich viele SpenderInnen keine Adressen angegeben haben. Manche haben sogar extra auf der Überweisung um eine Spendenquittung gebeten, aber keinen Platz mehr für die nötigen Daten gehabt... Wenn Ihr Aktionen macht, erinnert bitte daran, dass wir allen SpenderInnen einen Beleg schicken wollen, dafür aber die Adressen benötigen.

Jetzt aber zu wichtigeren Inhalten:

Roswitha ist mittlerweile nicht mehr nur Begleitperson des kranken Mädchens in Santo-Domingo, sie ist an Dengue-Fieber erkrankt und liegt nun selbst in der Klinik. Der Vater des Kindes, das eine Blutvergiftung hat, aber auf dem Weg der Besserung ist, ist heute in die Dominikanische Republik gereist, um seine Tochter abzuholen.

Der Transport der 14 Reisetaschen durch die GTZ hat geklappt! Die Güter werden Schwester Marthe für die Restavek-Kinder und Kinderheimen zugeleitet.

Da Marthe noch immer nicht regelmäßig Hilfe erhält, versuchen wir weiterhin, sie und ihre Organisation als berechtigte Empfänger registrieren zu lassen. Außerdem kümmert sich ein Vereinsmitglied noch immer um Hilfen aus Frankreich, Belgien und mittlerweile auch Italien. Leider ist die Nonne seit zwei Tagen weder auf ihrer Festnetz- noch auf ihrer Mobilfunknummer erreichbar, um weitere Schritte abzusprechen.

Nach einem Flugzeugabsturz auch das Erdbeben überlebt:
Tonel-pa-nou-Vorsitzender Acedius St.Louis.

Ace wird morgen aus dem Krankenhaus in Miami entlassen. Bevor er nach Haiti zurückkehrt, will er sich aber noch zwei Wochen lang bei Freunden in Dallas erholen. Bei ihm kommt jetzt die Trauer über die Schäden in Haiti auf, er kann die Bilder von der Zerstörung kaum fassen und dankt allen HelferInnen in Deutschland, die Geld sammeln, um Haiti wieder aufzubauen.

Liebe Grüße und haltet das Interesse an Haiti weiter wach,

heike fritz & Stephan Krause

Samstag, 30. Januar 2010

neuigkeiten aus haiti 11

Sechs Stockwerke nach dem Beben

Reisebericht von Stephan

Wie die meisten von Euch und Ihnen wissen, wurden Roswitha und ich von Help a child gebeten, eine Evakuierungsreise für über 60 Adoptivkinder zu begleiten, deren Verfahren schon so weit fortgeschritten war, dass ihnen in Absprache zwischen den haitianischen und deutschen Behörden die Ausreise aus Haiti gestattet wurde. Wir sind dieser Bitte sehr gerne nachgekommen, nicht nur weil wir die Evakuierung dieser Kinder, die nach dem Beben nur notdürftig versorgt und untergebracht waren, als dringend erachtet haben, sondern auch weil es uns darüber hinaus die Möglichkeit gab, direkt in Port-au-Prince erste Hilfen für unsere Projektpartner und unsere Patenkinder samt deren Familien zu organisieren. Außerdem konnten wir uns so einen Überblick über die nächsten Schritte der Wiederaufbauhilfe machen. Durch Roswithas jahrzehntelange Erfahrung, ihre Kontakte und durch die Tatsache, dass ihre beiden Söhne Thomas und Alex, die beide perfekt Kreyol sprechen, uns begleitet haben, konnten wir in der Kürze der Zeit doch einiges erreichen. Auch wenn ich mit den Herzen eigentlich noch in Haiti bin, möchte ich versuchen, die Ereignisse während dieser Reise in einem persönlichen Bericht zusammenzufassen.

Da der Flughafen von Port-au-Prince immer noch für den zivilen Luftverkehr gesperrt ist und das deutsche Außenministerium keine Landegenehmigung erreichen konnte, mussten wir leider eine sehr zeitaufwändige Reisevariante wählen. Wir sind am 22. Januar, zehn Tage nach dem Erdbeben, mit einem Touristenflieger nach Punta-Cana im äußersten Osten der Dominikanischen Republik geflogen. Der Spruch des Kapitäns nach der Landung: „Wir wünschen Ihnen einen schönen Urlaub in diesem Karibikparadies und hoffen, Sie gut erholt und gebräunt wieder an Bord einer unserer Maschinen begrüßen zu dürfen“ war das Sahnehäubchen des elenden Gefühls in meiner Magengrube, das ich angesichts all der gut gelaunten Touristen, die keinen Gedanken an die unvorstellbare Katastrophe in direkter Nachbarschaft ihrer Pauschaltouristenghettos verschwendeten, empfand. Weiter ging es in einer fünfstündigen Fahrt nach Santo Domingo. Dort hatten wir eine Übernachtung. Unser Teil der Gruppe machte sich am nächsten Morgen um sechs Uhr in einem Wagen der deutschen Botschaft sowie einem Pkw des staatseigenen Entwicklungshilfeunternehmens GTZ auf den Weg Richtung haitianische Grenze. Nach einer abenteuerlichen Fahrt in deutschem Autobahntempo erreichten wir mittags Port-au-Prince, wo wir schon am äußersten Rand der Stadt, wo noch kaum Erdbebenschäden zu erkennen waren, von einem ordentlichen Stau empfangen wurden. - Aber nicht etwa wegen vieler Lkw, die Hilfsmaterial auslieferten, sondern aufgrund der bekannten Mischung aus Tap-Taps, Schubkarren, Kleinlastwagen und den großen, immer frisch geputzten, weißen Geländewagen mit Chauffeur und irgendeinem „wichtigen“ Repräsentanten einer großen Organisation, die zwar vor Ort sind, aber nie sonderlich beschäftigt wirken.

Also alles wie immer? Ganz und gar nicht. Wenn man den Leuten auf der Straße in die Augen blickte, war dort eine Mischung aus Schmerz, Apathie und Resignation zu sehen, die ich vorher noch nie bei den wahrlich leidgeprüften Haitianern wahrgenommen habe. Ein Anblick, der mir fast mehr den Atem raubte, als der später deutlich zu riechende Geruch der Verwesung. Über die Schäden in der Stadt berichte ich hier nicht, wir kennen alle die Fernsehbilder der Zerstörung und des Todes. Dennoch so viel: Der Schutt ist im direkten Kontakt noch grauenvoller, weil – auch durch den beißenden Geruch – sofort klar wird, wie viele menschlichen Opfer noch darunter begraben sind. Der Gedanke daran lässt sich nicht verdrängen, und die im Kopf entstandenen Bilder verfolgen sicher nicht nur mich jeden Tag und jede Nacht.

Poukisa (kreolisch): Warum?

Am zerstörten Kinderheim Maison des Anges/MDA wartete schon unser Patenschaftskomitee bestehend aus Ti André, Guivens und Laumenaire auf uns. Diese Freude und Erleichterung, die während der stürmischen Begrüßung und den Umarmungen sichtbar wurde, zeigten Roswitha und mir deutlich, dass sich die Reise schon für diese moralische Unterstützung, die wir ihnen mit unserer Anwesenheit geben konnten, gelohnt hatte. Von ihren eigenen Schicksalen und Verlusten erzählten die drei nur widerwillig. Sie wollten vielmehr von uns wissen, wie es uns und unseren Familien gehe, als wären wir die Leidtragenden dieser Tragödie. Es war nur so viel zu erfahren, dass alle drei das Beben knapp und auch nur mit ihrem blanken Leben überstanden haben. Auf die Frage, wo sie denn übernachteten, antworteten sie, dass sie sich jeden Abend einen neuen Platz irgendwo in der Stadt suchen müssten.

Roswitha mit Guivens, André und Laumenaire.

Den Plan, dass eine Gruppe von zwölf ehemaligen und aktuellen Studenten des Patenschaftsprogramms uns bei der Evakuierung der Adoptivkinder helfen sollten und dafür von Help a child bezahlt werden würde, unterstützten die Drei ohne Zögern. Außerdem versprachen wir von der Haiti-Kinderhilfe Lebensmittel für die Helfer und ihre Familien. Ich bin mir sicher, dass alle zwölf an der Aktion beteiligten Patenkinder dies auch ohne jegliche Bezahlung getan hätten. Diese Selbstlosigkeit und diese Einsatzfreude, die „unser“ Team in den nächsten Tagen bei allen Arbeiten an den Tag legten, hat mich zutiefst beeindruckt und beschämt. Wir bejammern die Belastung und Mehrarbeit, die durch das Beben auf unseren Verein hereingebrochen sind, und diejenigen, die nicht viel mehr als ihr Leben und die Kleidung am Leib retten konnten, geben vollen Einsatz bei einer Aktion für sie vollkommen fremder Adoptiveltern und -kinder. Und nicht nur das! Ti André hatte am Vortag bereits Schwester Marthe von unserem Kindersklaven-Projekt aus eigenem Antrieb besucht und ihr von unserer Ankunft berichtet. Außerdem hatte er schon versucht, etwas über den Verbleib von den Verwandten unserer Kinder herauszufinden. Und die Biogas-Gruppe hatte, während sie auf uns wartete, schon den Fleischwolf des Kinderheims als möglichen Zerkleinerer für unser Biogasprojekt getestet.

Evakuierungstruppe

Dazu passte auch, dass am nächsten Tag nicht etwa wir auf die obdachlosen Haitianer warten mussten, die sich mit Tap-Taps oder zu Fuß ihren Weg zum Kinderheim bahnen mussten, sondern sie auf uns, die wir im Botschaftsauto anreisten. Dank Roswitha konnten wir zusätzlich noch das Auto der Frau des holländischen Generalkonsuls Rob Padberg benutzen. Dadurch konnten Ti André, Thomas Weiß und ich uns nach einer kleinen Verteilung der Kurbeltaschenlampen und Wasserbeutel an unser haitianisches Evakuierungsteam auf den Weg machen, um unsere Projekte zu besuchen und Hilfe zu organisieren. Der Versuch, uns bei der OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) als NGO zu registrieren, scheiterte allerdings an dem Chaos, dem babylonischen Sprachgewirr und dem Kompetenzwirrwarr, das auf dem UN-Gelände am Flughafen herrscht. Einziges Ergebnis unserer einstündigen Odyssee war das Eingeständnis eines OCHA-Mitarbeiters, dass eine „koordinierte Registrierung und eine zentralisierte Ausgabe von Hilfsmaterial“ durchaus sinnvoll wäre, aber soweit wären sie leider noch nicht. Immerhin, wir erhielten auf unseren USB-Stick Unmengen Mailadressen, wer welche Meetings in den diversen UN-Zelten organisiert. Wir waren vollkommen frustriert und geschockt, dass in der Presse hierzulande gerne von den chaotischen Zuständen in Haiti berichtet wird, an denen eine schnelle Hilfe scheitert. In der Realität ist aber der Organisationsgrad der Haitianer geradezu perfekt – und nicht nur im Vergleich zu dem der UNO, der US-Truppen und aller großen NGOs. So sahen wir auf dem Weg in das von der Haiti-Kinderhilfe finanzierte Krankenhaus „Centre de Santé de Notre Dame de Lourdes“ zwar zahlreiche Einheimische, die sich bereits Baumaterial organisiert hatten und ihre Häuser ohne fremde Hilfe wieder aufbauten, aber so gut wie keine Hilfslieferungen auf den Straßen. Insgesamt habe ich in den vier Tagen in Port-au-Prince maximal zehn offizielle Stellen gesehen, an denen Hilfsgüter verteilt wurden. Das ist ungefähr so, als ob auf dem Oktoberfest zwar die Tonnen von Bier, Hendl, Radi und Brezen vorhanden wären, aber für alle Bierzelte und Besucher nur eine Bedienung im Einsatz wäre. Das ist sicher ein zynischer Vergleich, aber er macht vielleicht die Dimension des Versagens der internationalen Hilfe deutlich.


Noch ein Wort zum Thema Plünderungen: Ich habe keine gesehen oder erlebt. Es gab zwar viele nächtliche Schüsse zu hören, aber andererseits steckten wir direkt hinter einem unbewachten Tieflader-Lkw beladen mit Hunderten von Reissäcken im Stau, und es wäre ein Leichtes gewesen, etwas zu stehlen. Das ist aber nicht passiert, es gab nicht einmal Versuche, den Lkw-Fahrer anzubetteln. Alle Bitten um Hilfe, die ich selbst erlebt habe, waren von geradezu bewundernswerter Zurückhaltung und Höflichkeit geprägt. So hat uns zum Beispiel ein älterer Herr oberhalb eines vollkommen zerstörten Viertels in perfektem Französisch angesprochen: „Meine Herren, entschuldigen Sie die Störung, aber ich möchte Sie gerne darauf aufmerksam machen, dass dort unten Hunderte von Menschen in einem provisorischen Lager ausharren, die noch keinerlei Hilfe erhalten haben. Wenn Sie irgendeine Möglichkeit sehen, diesen Menschen zu helfen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“ Hört sich so der plündernde, aufgebrachte Mob an?

Jeder freie Platz ist ein "Zuhause" für Obdachlose

Das Krankenhaus hat leichte Schäden, die aber reparabel sind und vorübergehend mit Stützen überbrückt wurden. Es wird zwischenzeitlich von den Amerikanern unterstützt. Allerdings fehlten bei unserem Besuch noch die Zelte, in denen amerikanische Ärzte direkt vor Ort operieren sollen. Die Patienten werden zwar im ersten Stock, in dem auch der unbeschädigte OP liegt, nachversorgt, aber für die ausländischen Ärzte, so die Aussage eines anwesenden US-Mediziners, sei das Risiko zu hoch, den OP zu benutzen. Deshalb werde bis zum Eintreffen der Zelte zentral operiert, und die Patienten würden dann erst zum Centre transportiert. Nebenan im Mädchenheim „Filles de Dieu“ lagen zwar Zelte, die von Unicef fürs beschädigte Kinderheim geliefert worden waren. Es handelte sich aber um viel zu große Zelte für den dortigen Innenhof. Warum diese Zelte nicht für das benachbarte Krankenhaus verwendet wurden, haben wir bis heute nicht herausgefunden oder verstanden.

Unser Krankenhaus Centre de Santé in Delmas 19 mit nur leichten Schäden.


Durch Ruinen, die eher an gezielte Sprengungen als an Erdbebenschäden erinnerten, kamen wir dann zu Schwester Marthes Restavek-Projekt. Die 84-jährige Nonne ist die letzte ihres Ordens in Port-au-Prince. Ihre brasilianischen und belgischen Mitschwestern hatten Haiti bereits verlassen. Lediglich eine junge indische Novizin ist noch vor Ort, sie zeigte sich gegenüber dem Ruf des Mutterhauses auch ungehorsam. Außerdem trafen wir in Marthes Haus auf einige der bis zum Beben 45 Monitore und den haitianischen Projektleiter Ronald Valme. Er hat wie 35 Monitore, die durch das Beben obdachlos wurden, nicht nur sein Haus, sondern auch seine Frau verloren. Eine Monitorin wurde während der Geburt ihres zweiten Kindes zusammen mit ihrem älteren, eineinhalbjährigen Kind unter ihrem einstürzenden Haus begraben. In jeder Familie der Monitore sind Tote und Verletzte zu beklagen. Die Verluste bei den Kindern des Programms sind noch nicht abzusehen, allerdings sind bereits viele aufgetaucht, deren „Pflegefamilien“ ums Leben gekommen sind. Laut Schwester Marthe kümmern sich die Monitore jetzt wie in einer Art „Kinderdorf“ um ihre Restavek-Schützlinge, nur mit dem Unterschied, dass sie selbst ohne Heim und Versorgung dastehen. Die beiden Lakou-Zentren in Carrefour-Feuilles und Kwadepre sind samt Inhalt wie zum Beispiel sämtlichen Tret-Nähmaschinen, Stoffen und Möbeln zerstört. Für den nächsten Tag hatte Schwester Marthe eine hilflos anmutende Verteilaktion von zwei Kartons mit Kleidung angesetzt, die bereits in den Nähkursen gemacht worden waren. Wasser und Nahrung sei zwar dringender, aber davon habe sie nichts. Schwester Marthes Haus ist nahezu unbeschädigt, da es sich um ein massives Ziegelhaus handelt. Thomas Weiß (von Beruf Ingenieur) untersuchte den Bau und erklärte ihn für gefahrlos bewohnbar. Nachdem wir an die Anwesenden Taschenlampen und Wassersäcke verteilt hatten, verabschiedeten wir uns mit dem Versprechen, für den nächsten Tag eine Nahrungsmittellieferung zu organisieren.
Schwester Marthe bereitet Monitore auf neue Aufgaben vor.

Am nächsten Morgen verteilten wir an 23 Familien des Patenschaftsprogramms, die sich beim Kinderheim MDA eingefunden hatten, Taschenlampen, Wasserbeutel und eine Soforthilfe von 50 US-Dollar. Der Dank, der uns von diesen erschöpften Menschen entgegengebracht wurde, lässt sich nicht beschreiben. Es war unvorstellbar. André vereinbarte dabei schon gleich Termine mit den Familien, um deren Geschichten vom Überleben zu recherchieren. Er wird in nächster Zeit immer wieder Berichte liefern, die wir dann in den Rundbriefen abdrucken können. Schließlich soll das Leben ja weitergehen... Während unser haitianisches Evakuierungsteam einen Platz für ein Zelt des THW vorbereitete, in dem die aus fünf anderen Kinderheimen am MDA zusammengeführten Kinder ihre letzte Nacht in Port-au-Prince verbringen sollten, organisierte Thomas Weiß aus einem vollen EU-Lager Nahrungsmittel fürs Restavek-Projekt, die wir noch am gleichen Tag Schwester Marthe übergeben konnten. Dies gelang nur durch seine Ortskenntnis, seine guten Kontakte und die zum 1.000. Mal erfahrene Kooperationsbereitschaft von Rob Padberg.












Es klingt vielleicht nach wenig, was wir für die Haiti-Kinderhilfe in Port-au-Prince erreicht haben. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass unsere eigentliche Mission das Abholen der adoptierten Kinder war. Insofern haben wir in der wenigen „freien“ Zeit, dank der guten Vorarbeit des Komitees doch vergleichsweise viel zustande gebracht. Man denke nur, was Tausende Vollzeit tätige Soldaten und Hilfsprofis in 14 Tagen zuwege gebracht haben... Zur endgültigen Evakuierung der Adoptivkinder wurden zwei Reisebusse aus Santo-Domingo zusammen mit gekauften Lebensmitteln für unsere Patenschaftsfamilien und die betroffenen Kinderheime, zwei Ärzten und weiteren Helfern ins Kinderheim MDA verlegt. Roswitha und ich waren so stolz auf „unser Team“, als wir abends sahen, dass es inmitten dieses Chaos' nicht nur die verlangten Arbeiten erledigt und die Kinder betreut, sondern sich organisiert und für Dutzende Leute gekocht hatte. Wir konnten direkt sehen, wie engagiert die jungen Leute waren, die doch eigentlich unsere Hilfe hätten kriegen sollen. Beim Bureau de Nutrition et Developpement, dem Ernährungsbüro von Rob Padberg, konnte ich nach der tollen Mahlzeit noch eine große Summe Bargeld im Safe deponieren, das wir bei Bedarf für unsere Projekte abrufen können.

Evakuierung der 62 Adoptivkinder aus Port-au-Prince.

Die eigentliche Evakuierung begann am nächsten Morgen um fünf Uhr. Der frühe Zeitpunkt war von Roswitha vorgeschlagen worden, um die Gefahr nach einer auch in Haiti hitzig geführten Debatte über Kinderhandel zu minimieren. Leider weigerte sich der Busfahrer, die letzten kleinen Straßen zum MDA zu rangieren, so dass wir die Lebensmittel mit dem Botschaftswagen und einem eilig organisierten Tap-Tap zum Heim transportieren mussten. Auch die vollkommen verschreckten Kinder mussten auf dem gleichen umständlichen Weg zu den Bussen gebracht werden. Unser zwölfköpfiges Team bewährte sich auch bei dieser Aktion. Die Patenkinder entluden die Hilfsgüter, beruhigten die Kinder, teilten die Lebensmittel zwischen den Heimen und den Patenschaftsfamilien auf und waren in dem ganzen Tohuwabohu für die Kinder wirklich der einzige Ruhepol. In all dem Chaos holten André und Guivens mich weg von den Ereignissen. Da mir meine beiden zu betreuenden Kinder schon anvertraut waren, kam es mir sehr ungelegen. Nur widerwillig seilte ich mich mit den beiden vom Pulk ab, um die netteste Überraschung meines Lebens zu erhalten: André und Guivens hatten sich erinnert, dass ich den Cocktail aus Cowossolsaft, Milch, Zucker und Eiswürfeln bei meinem letzten Besuch so geliebt hatte. Ich weiß nicht, wie es ihnen gelungen ist, in der Ruinenstadt alle Zutaten für den Drink aufzutreiben – aber da standen sie mit strahlenden Gesichtern und einer prall gefüllten Beuteltrinkflasche. Eigentlich fehlen mir jetzt noch die Worte, die Geste war einfach zu überwältigend.

Auch auf dem Weg bis zur Grenze zur Dominikanischen Republik erwiesen sich unsere Patenkinder als wertvolle Helfer. Guerline wickelte unermüdlich die an Durchfall erkrankten Kleinsten, Josef schaukelte teilweise gleich drei Kinder auf einmal, und Guivens versuchte als Vorsänger den Chor der Kleinkinder mit Liedern zu beruhigen, die hier in Deutschland vermutlich in die Fußballstadien passen würden... Während der Tage in Port-au-Prince war es immer wieder zu sehr emotionalen Szenen gekommen. Aber stillschweigend waren wir übereingekommen, nicht zu weinen. Ich hatte den Eindruck, wir hatten alle Angst davor, nicht wieder aufhören zu können. Bei mir endete der Vorsatz an der Grenze. Nicht etwa, dass die Verabschiedung mich geknackt hätte, nein, es war James' fassungsloses Gesicht, als ihm klar wurde, dass ich mit dem Tross nach Deutschland fahren würde. Er, der sonst so perfekt Englisch sprach, stammelte so etwas wie „Was, Sie fahren jetzt auch weg?“ Ich kam mir so vor, als ob ich sie alle im Stich lasse. Und tat es in dem Moment ja auch. Zum einzigen Mal fiel genau da die Fassade der vermeintlich Starken, und mir wurde bewusst, wie sehr wir ihnen Hoffnung geben. Das ist unsere Verpflichtung. Danke, dass Ihr alle helft, diese Verantwortung zu schultern.

Herzlich, Stephan Krause

Abschied an der dominikanischen Grenze.

Freitag, 29. Januar 2010

neuigkeiten aus haiti 10

Liebe FreundInnen Haitis,

während der mehrtägigen Rückreise unserer Haiti-Gesandter mit den adoptierten Kindern nach Deutschland, hatten wir keinen Kontakt mit unserer Delegation. Deshalb konnten wir an den vergangenen beiden Tagen nichts Neues berichten. Tut uns wirklich leid. Stephan ist zwar mittlerweile wieder da, hatte aber heute schon einige Termine für den Verein, so dass er noch nicht dazu kam, seine wichtigsten Mitteilungen niederzuschreiben. Wir haben es fest für morgen, Samstag, vor und bitten Euch und Sie um Verständnis und noch ein bisschen Geduld.

* Wie man ja bundesweit der Presse entnehmen konnte, sind die insgesamt 60 aus haitianischen Waisenhäusern evakuierten Adoptivkinder in Deutschland angekommen. Viele der Kleinen waren sehr krank, dehydriert und auch traumatisiert. Sechs von ihnen mussten direkt nach ihrer Ankunft in Frankfurt in Kliniken gebracht werden. Roswitha ist noch mit einem Jungen in der Klinik in Santo Domingo. Sie geht davon aus, dass sie in vier Tagen reisefähig sind.

* Unsere großen Patenkinder, die den Tross an Kindern und Betreuern bis zur Grenze zur Dominikanischen Republik begleitet haben, sind wohlbehalten wieder in Port-au-Prince angekommen. Während wir um deren sichere Rückkehr nach Port-au-Prince gebangt hatten, äußerten sie in ihren ersten Mails ihre große Sorge, ob die Gruppe sicher in Deutschland angekommen sei. Von den schwierigen Bedingungen ihrer Reise verloren sie kein Wort...

* Das Evakuierungsteam musste 14 Reisetaschen voller Medikamente und Kinderkleidung im Hotel in Santo Domingo zurück lassen, weil der geplante Transport nach Port-au-Prince schiefging. Wir haben jedoch die GTZ dafür gewinnen können, uns die Taschen bei der nächsten Fahrt nach Haiti mitzunehmen. Die Übergabe an Schwester Marthe und die Restavek gestaltet sich zwar noch schwierig, weil unsere Helfer ja kein Auto (mehr) zur Verfügung haben, aber die GTZ-Mitarbeiter haben unsere Not erkannt und finden sicher eine Lösung. Danke!

* Der Vorstoß bei französischen und belgischen Politikern, sie sollten ihre Hilfsorganisationen doch bitten, Schwester Marthe und ihre gut 2.000 Restavek mit Lebensmitteln zu versorgen, hat Früchte getragen! Vielen Dank, Dani. Die französische Senatorin Joelle Garriaud-Maylam meldete zurück, dass ihr Team gleich bei der Kontaktaufnahme mit Marthe Lebensmittel hinterlassen habe, weil ihm sofort auffiel, dass es an allem - Wasser, Nahrung, Medikamenten und Kleidung - fehle. Diese Hilfe ermögliche den Betroffenen das Überleben der nächsten "paar Tage", hieß es. Der französischen Delegation gegenüber scheint Marthe erklärt zu haben, dass sie über ihre Monitore mittlerweile von etwa 1.200 überlebenden Restavek gehört hat. Abzüglich der 50 bereits sicher als tot gemeldeten, fehlt damit noch von mindestens 750 Kindern ein Lebenszeichen.

* Unter diesem Absatz seht Ihr/ sehen Sie ein Poster, das die Medienfabrik in Gütersloh umsonst für uns gestaltet und die Bildrechte an jenen Fotos bezahlt hat, die nicht von uns sind. Es lässt Raum für Hinweise auf Eure/Ihre jeweiligen Veranstaltungen und informiert gut über die Aktivitäten der Haiti-Kinderhilfe - und ihre Kontoverbindung! Danke, Verena. - Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Haiti-Kinderhilfe hat keine gedruckten Exemplare dieses Posters. Wer es verwenden will, muss es selbst organisieren, und dem Verein dürfen dafür auch keine Kosten entstehen!


* Cecile Gabathulers Kinderheim, das beim Beben ja große Schäden erlitten hat, wurde mittlerweile evakuiert. Die Waisen kamen - bis auf vier Mädchen, die bei Cecile blieben - allesamt in die Niederlande. Danke für die Information, Annette.

* Denkt bei allen Aufrufen daran, die SpenderInnen zu erinnern, dass sie ihre Namen und Adressen angeben, damit wir eine Spendenquittung verschicken können. Wir haben jetzt schon eine Liste mit bestimmt 100 Leuten, die nur ihren Namen - und den oft noch unleserlich - angegeben haben. Unter ihnen ist auch ein Herr, der uns sage und schreibe 10.000 Euro überwiesen und ausdrücklich um eine Spendenquittung gebeten hat! Es wird uns sicher nicht in allen Fällen gelingen, die SpenderInnen übers Internet herauszufinden.

So viel für heute. Gutes Gelingen für alle Aktionen am Wochenende und
herzliche Grüße,
heike fritz & Stephan Krause

bisherige neuigkeiten aus haiti (1-9)

Di 26.01.2010 15:16
Liebe FreundInnen Haitis,

schon am Betreff ist ersichtlich, die heutigen Neuigkeiten sind nicht aus Haiti. Wir hatten keinen Kontakt mehr, auch meine sms-en gingen nicht mehr durch. Außerdem muss ich jetzt gleich zu einem Haiti-Abend weg, deshalb kommt die sonst abendliche Rundmail jetzt schon.

Hier tut sich beim Spendensammeln weiterhin vieles, bestimmt geht das meiste an mir vorüber. Eine Aktion möchte ich hier aber noch vorstellen:

Es werden Solidaritäts-T-Shirts für Haiti gemacht. Das Design ist im Anhang als pdf zu sehen. Sie und Ihr könnt entweder Einzelbestellungen bei bauerbehringer@freenet.de vornehmen oder größere Mengen zum Verkauf ordern. Ab 20 Stück werden die T-Shirts von Steffi Bauer zum Einkaufspreis weitergegeben - in der Hoffnung natürlich, dass der erwirtschaftete Gewinn an die Haiti-Kinderhilfe geht. Bei Bestellungen bitte unbedingt die Adresse, die Menge und die Größen angeben. Erhältlich sind: Kindergrößen XS (104 dt. Kleidergröße; 3/4 Jahre), S (116; 5/6), M (128; 7/8), L (140; 9/11), XL (152; 12/13); Männergrößen S, M, L, XL, XXL und Damengrößen (leicht taillierter Schnitt) S, M, L, XL. INTERESSENTEN MÜSSEN SICH ABER BALD MELDEN, DIE BESTELLUNG SOLL SPÄTESTENS AM MORGIGEN MITTWOCH RAUS !!!

Außerdem hat ein Vereinsmitglied angeboten, ihre Kontakte nach Frankreich und Belgien spielen zu lassen, damit Schwester Marthe eventuell Hilfen von deren Organisationen erhält. Gerade Frankreich als ehemalige Kolonialmacht fühlt sich je jetzt etwas für Haiti verantwortlich und ist mit einigen Organisationen bei der Nothilfe vertreten. Vielleicht wird ja etwas daraus, und Schwester Marthe muss die Restavek nicht länger hungrig sich selbst überlassen. Danke, Dani.

Danke auch an alle für jede Aktion, die wir gar nicht mitkriegen. Es gehen täglich viele Spenden ein, so dass wir tatsächlich auch die Mittel haben werden, beim Wiederaufbau mit zupacken zu können.

Wie immer liebe, heute wieder etwas hoffnungsfrohere Grüße,
heike fritz


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Mo 25.01.2010 22:37
Liebe FreundInnen Haitis,

heute fällt der Bericht knapp aus, ich habe nur einmal mit Stephan Kontakt gehabt - und dieses Telefonat stand ganz im Zeichen der Verzweiflung.

Schwester Marthe hat seit dem Beben noch keine einzige Hilfslieferung für "ihre" Restavek erhalten und wird von Stunde zu Stunde unruhiger. Zuviele der Restavek sind ohnehin schlecht ernährt, da können fast zwei Wochen ohne Nahrung allzu leicht den Tod bringen. Roswitha (Weiß, Beisitzerin im Haiti-Kinderhilfe-Vorstand) und Stephan (Krause, 1. Vorsitzender) haben ihr deshalb gestern schon Bargeld hinterlassen, da auch sie komplett von einem Kontozugang abgeschnitten ist. Da aber der freie Markt in der Stadt noch nicht wieder existiert, kann sie zunächst einmal nichts davon kaufen. Als Soforthilfe haben Roswitha und Stephan deshalb beim BND (Bureau de Nutrition et Developpement) eine Lebensmittellieferung beantragt. BND-Chef Rob Padberg hatte am Morgen (haitianische Ortszeit) zugesagt, dass noch am selben Tag Reis, Öl und eventuell auch Bohnen angeliefert werden könnten. Er habe durch EU-Gelder bereits einige Posten ordern können und auch erhalten.

Am Vormittag traf sich unsere Delegation mit 23 aktuellen und ehemaligen Patenkindern. Sie hatten den Aufruf gehört, sich heute bei Henfrasa mit Vertretern der Haiti-Kinderhilfe zu treffen. Jedem einzelnen wurden - gegen Quittung - Lampen, Trinkflaschen und 50 US-Dollar als Soforthilfe ausbezahlt. Es müssen sich rührende Szenen abgespielt haben, da viele ohne Hab und Gut in den provisorischen Camps leben und keine Vorstellung haben, wie es weitergehen könnte. Das Geld wird ihnen erst einmal über das Gröbste hinweghelfen, bis wir konkretere Pläne für den Wiederaufbau geschmiedet haben.

Das Patenschaftskomitee hat bereits Ideen für ein Hütten-Bauprojekt. Offenbar hat es von einer kanadischen Initiative gehört, die Holzhäuser für die Armen bauen möchte. Stephan und Thommy (Weiß, Sohn von Roswitha Weiß, in Haiti aufgewachsen) wollten heute versuchen, Kontakt zu den Zuständigen aufzunehmen.

Leider konnte Stephan keine Namen von Überlebenden nachschieben, dafür war einfach keine Zeit.

Einer Gruppe von zwölf älteren Patenkindern haben Roswitha und Stephan zu einem Job verholfen: Sie werden die Adoptivkinder, die demnächst ausgeflogen werden sollen, mit betreuen und bis zur Grenze der Dominikanischen Republik begleiten. Als Lohn erhalten sie - von den Adoptionsorganisationen - einen Rucksack mit Lebensmitteln für drei Tage, 200 US-Dollar und 20 US-Dollar Fahrgeld, um sich selbst von der Grenze wieder zurück nach Port-au-Prince durchschlagen zu können. Als erste Arbeitsmaßnahme für diesen Job mussten sie heute vor dem Kinderheim Maison des Anges den Untergrund ebnen. Das deutsche THW sollte dann (in Haiti ungefähr jetzt) dort Zelte errichten, damit die Adoptivkinder schon einmal zusammengeführt werden können.

Da in der vergangenen Nacht die Ruhe nicht nur durch das Nachbeben der Stärke 4,7 gestört wurde, sondern fast ununterbrochen Schießereien herrschten, wird die Gruppe heute Nacht nicht wieder im Freien schlafen, sondern im geschützteren Garten der deutschen Botschaft. Selbst Roswitha, die ja von der Militärdiktatur über den Einmarsch der US-Armee und den Bürgerkrieg in Haiti alles mitgemacht hat, war es zu unsicher, noch eine Nacht so zu campieren.

Heute ohne Fazit, ratlose, aber liebe Grüße,
heike fritz

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So 24.01.2010 22:11

Liebe FreundInnen Haitis,

heute ein erster Lagebericht von Stephan aus Port-au-Prince:

Das Wichtigste vorneweg, zwei weitere Namen von lebenden Patenkindern: meine allerliebste Guerline Jules und Miracle Pierre, der Bundesliga-Fan!!!! Stephan hat noch vier weitere Patenkinder getroffen, deren Namen er aber nicht kennt und nachreichen wird.

Die Frau des holländischen Generalkonsuls, Padberg, hat unserer Delegation ihr Auto geliehen. Daher hat sich die Gruppe aufgeteilt, um effektiver etwas zu erreichen. Während Roswitha Weiß (Beisitzerin der Haiti-Kinderhilfe) sich um die abzuholenden Adoptivkinder und ihre Papiere kümmerte, versuchte Alexander Weiß (ihr Sohn, in Haiti aufgewachsen) Lebensmittel zu beschaffen. Thomas Weiß (der andere Sohn, auch in Haiti aufgewachsen) und Stephan Krause (1. Vorsitzender) kümmerten sich um eine ärztliche Versorgung für die zwei, drei erkrankten Kinder und konnten sich später Zeit für verschiedene Vereinsaufgaben der Haiti-Kinderhilfe nehmen:

Die Zerstörungen an zwei großen Durchgangsstraßen durch die Hauptstadt, Delmas und Pan Americaine, sind immens. In der Region sei jedes zweite Haus komplett eingestürzt.

Das Hotel "Villa Créole", in dem die meisten Journalisten derzeit untergebracht sind, ist zerstörter als die Medienberichte vermuten lassen. Er sei jedenfalls über das Ausmaß der Schäden sehr überrascht gewesen und wunderte sich, wie die Besitzer dort nicht nur den Betrieb weiterorganisieren, sondern auch noch die Obdachlosen auf dem vorgelagerten Platz versorgen. Dort habe er mehrere querschnittsgelähmte Menschen liegen sehen, die gerade von haitianischen Helfern "umgebettet" wurden. Eine ältere Frau haben ein paar Männer in einem selbergebauten "Rollstuhl" transportiert: in einem Gartenstuhl, an den sie Räder montiert hatten.

Unser Krankenhaus "Centre de Santé de Notre Dames de Lourdes" steht, hat aber zahlreiche Risse. Die Krankenzimmer sind dennoch belegt, nur der Operationssaal wurde von den ausländischen Ärzten als zu unsicher eingestuft. Heute wurden Stützen eingezogen, damit ab morgen auch wieder Operationen durchgeführt werden können. Die angrenzende Straße wird ab morgen komplett gesperrt, damit zwei Krankenhauszelte aufgebaut und noch mehr Patienten versorgt werden können. Die ärztliche Leiterin, Dr. Guerlaine (= Lelen) Laplanche, ist fast rund um die Uhr im Einsatz. Sie hatte Nachschub von einer amerikanischen Hilfsorganisation erhalten und den Betrieb gleich weitergeführt. Von den dort betreuten Patienten waren heute 28 zu Notoperationen in ein sicheres Hospital abgeholt und danach zur Weiterbehandlung zurückgebracht worden. Ab morgen soll der Betrieb dann auf der Straße und im Gebäude weitergehen, es würden vor allem Amputationen durchgeführt.

Im angrenzenden Mädchenheim "Filles de Dieux" sind auch Risse im Gebäude zu sehen, die Kinder wohnen aber weiter dort. Drei Mädchen, die bei einer Familie zu Besuch waren, seien jedoch gestorben. Von der deutschen Caritas hat das Heim zwei Zelte erhalten, damit niemand in dem beschädigten Heim leben müsste. Leider sind sie für den Innenhof aber viel zu groß. Ein Austausch wurde bereits vereinbart, es kam aber noch nicht dazu.

Das Henfrasa-Gelände mit dem Obdachlosen-Camp haben sie heute nur im Vorbeifahren gesehen. Das Gebäude sieht auf der Straßenseite nicht aus als wäre es in Mitleidenschaft gezogen worden, aber sei wohl schon beschädigt. Demnächst mehr.

Die Registrierung bei der UNO war heute unmöglich. Das Camp am Flughafen sei total chaotisch. Wenn man Rückschlüsse von dieser kleinen Fläche auf die Gesamtorganisation ziehen darf, müsse es niemanden wundern, dass die Lebensmittelverteilung nicht klappt. Von der Aussage, dass man sich gar nicht registrieren lassen könne über "Gleich da hinten am Schalter" bis zu "Das ist eine gute Idee" habe er alles gehört. Vielleicht ist über das deutsche THW, das Henfrasa ja schon mit Wasser versorgt, auch noch etwas zu erreichen, das ist der nächste Versuch.

In Wall's Guesthouse, in dem Haiti-Reisende gerne preisgünstig und zentral übernachteten, ist das Hauptgebäude mit Küche und Speisesaal eingestürzt (vom Tod einiger Gäste und zweier Mitarbeiter hatten wir schon berichtet). Betreiber Veniel hat seine Familie aus der Stadt nach Kenskoff geschafft, beherbergt aber auf dem Parkplatz zahlreiche beim Beben verletzte Straßenhändler. Der Wachdienst steht parat und bewacht die Trümmer sowie nachts die Leute.

Mit Schwester Marthe hat Stephan bereits telefoniert, nach dem Telefonat mit mir wollte er sie auch besuchen gehen. Alle 27 anderen in Haiti tätigen Nonnen ihres Ordens haben sich entschieden, Haiti zu verlassen. Für einen Wiederaufbau sahen sie sich nicht schlagkräftig genug. Die 84-jährige Marthe jedoch meinte am Telefon, sie werde niemals gehen!, sie habe noch so viel zu tun. Die Zahl der getöteten Restavek-Kindersklaven habe sich weiter erhöht, einer der Monitore führe aber Buch, am Telefon wollte sie keine falsche Auskunft geben. Auch seien mehr als die fünf am Freitag genannten Monitore bei dem Beben getötet worden.

Rob Padberg, holländischer Generalkonsul und Leiter des Bureau de Nutrition et Developpement, des vom Staat und den UN-Hilfsorganisationen getragenen Ernährungsbüros in Haiti, arbeitet rund um die Uhr. Dennoch hat er heute Morgen Roswitha und Stephan kurz begrüßt und angekündigt, dass er auch Aufgaben für die Haiti-Kinderhilfe habe. Zu mehr hatte er leider keine Zeit... Wir harren der Dinge.

So, das war's, gute Nacht und liebe Grüße,
heike fritz

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Sa 23.01.2010 22:07
Liebe FreundInnen Haitis,

unsere Delegation ist in Port-au-Prince eingetroffen. Während zunächst fast stündlich sms-en durchgingen, herrscht seit einiger Zeit Funkstille. Da ich aber morgen wieder Frühschicht habe, kann ich nicht länger auf Nachrichten warten und verschicke die allabendliche Rundmail jetzt.
Die ersten Nachrichten sind ebenso gut wie verstörend. Stephan (Krause, 1. Vorsitzender) berichtete, dass auf der Fahrt von der dominikanischen Grenze bis Port-au-Prince die kleinen Häuser auf dem Land fast alle unbeschädigt waren. Die Leute hätten auch drin gewohnt, er habe keine aufgespannten Planen gesehen.
In Port-au-Prince staue sich der Verkehr wie vor dem Beben.

Während schon die zerstörte Stadt sehr erschütternd sei, so seien aber die Katastrophenfolgen an den Menschen noch entsetzlicher. Viele Menschen säßen versteinert am Straßenrand, es sehe so aus als hätten sie sich seit elf Tagen nicht bewegt. Viele Überlebende, die die Straßen nach Essbarem absuchten, seien nicht wirklich lebendig, eigentlich nur nicht tot. Ihre Gesichter wirkten merkwürdig leblos und apathisch. Wer Haiti kenne, könne es kaum wiedererkennen. Vom lauten, bunten Treiben sei schlichtweg nichts mehr übrig, die Stimmung sei bizarr und gespenstisch.

Das Treffen mit dem Komitee sei gigantisch gewesen. Alle hätten sich minutenlang umarmt, geweint und gelacht. Von den drei Studenten, Andre Paul, Guivens Sylvestre und Laumenaire Viltus, haben alle Familienmitglieder überlebt, sie hätten aber alles verloren und schliefen in ähnlichen Camps wie bei Henfrasa unter freiem Himmel. Dennoch seien sie guter Dinge und hätten schon einiges an Arbeit geleistet sowie Pläne für die Zukunft geschmiedet.

Das deutsche THW versorgt inzwischen Henfrasa mit Wasser. Die Helfer bereiten es am Flughafen auf und haben Henfrasa als große Wasserverteilstelle in ihrer Karte eingezeichnet. Ti Andre (Patenkind Andre Paul) hat bestätigt, dass auch die medizinische Hilfe in "unserem" Camp für 1.500 Obdachlose angekommen ist.

Ti Andre hat am Freitag bereits Schwester Marthe besucht. Im Restavek-Kindersklavenprogramm sind einige Todesopfer zu beklagen. Soweit jetzt schon bekannt, haben 50 Restavek und fünf Monitore nicht überlebt. Für eine endgültige Bilanz sei es aber noch zu früh. Vor dem Beben hatte die belgische Nonne mit 45 Monitoren mehr als 2.000 Kindersklaven unterstützt.

Während wir hier in Deutschland unsere Pläne für kleine Biogasanlagen mittlerweile fast schon aufgegeben hatten, hat die Biogas-gwoup - jene Gruppe Studenten, die am Prototyp mitgearbeitet hatte - in ihrem Notzeltlager in den vergangenen Tagen schon weitere Tests zur Zerkleinerung der Speiseabfälle durchgeführt. - An einem Fleischwolf, der in Haiti traditionell zur Herstellung der Bohnensoße verwendet wird. Und es klappe hervorragend. In Europa wird also der bessere Wiederaufbau Haitis diskutiert, in Haiti arbeiten die ersten schon daran. Unseren Studenten ist jedenfalls klar, dass bei jedem wiederaufgebauten Haus auch eine Biogasanlage Platz finden muss. Umso eifriger werde jetzt die erste Anlage geplant...

Wenn das nicht Mut macht.

Für hierzulande habe ich noch Material des Welthauses Bielefeld für Lehrer erhalten, die das Erdbeben zum Unterrichtsthema machen wollen. Es enthält unter anderem Anregungen für die verschiedenen Jahrgangsstufen, einen Überblick über passende neue Medien sowie Haiti in Zahlen. Vielen Dank, Christoph, der uns die Datei weitergeleitet hat. Ich denke, unsere Haiti-Kinder könnten das Konzept mal ihren LehrerInnen vorlegen.

Liebe Grüße,
heike fritz

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Fr 22.01.2010 19:19
Liebe FreundInnen Haitis,

leider haben wir noch keine weiteren Überlebenden aus Haiti gemeldet bekommen. Das Patenschaftskomitee, das sich um die Bestandsaufnahme kümmert, hat heute nicht kommuniziert - ich will hoffen, weil es so beschäftigt war, die Überlebenden zu dokumentieren.

Die medizinische Hilfe auf dem Henfrasa-Gelände ist offenbar tatsächlich angekommen, die Bestätigung kam zwar nur auf Umwegen über die USA bei uns an, wir bauen aber darauf, dass sie stimmt.

Die Nachrichten aus der Dominikanischen Republik sind nicht gut. Stephan (Krause, 1. Vorsitzender), Roswitha (Weiß, Beisitzerin) und deren beiden Söhne wollten vor der Einreise nach Haiti noch Lebensmittel einkaufen, um überlebenden Patenkindern gleich einige Rationen zukommen zu lassen. Die Dominikanische Republik hat aber nach Auskunft von mehreren Hilfsorganisationen vor Ort die Ausfuhr von Lebensmitteln selbst im Grenzkorridor für die Hilfsorganisationen verboten. Die Regierung hat ihre Sorge geäußert, dass die anreisenden Katastrophenhelfer zuviele Vorräte für Haiti kaufen und die Versorgung im eigenen Land knapp werden könnte.

Das allein ist schon skandalös, wird aber noch übertroffen von der Tatsache, dass auf dem UNO-Zentrallager in Port-au-Prince tonnenweise Lebensmittel stehen, die nicht verteilt werden. Zehn Tage nach dem Erdbeben sind die Überlebenden so ausgehungert, dass es zu einem Massenandrang auf Lkw kommt, die in den Straßen stehen. Während die UNO die Situationen meist als potenziell gewalttätig einstuft und eine Verteilung abbricht, berichten unsere Leute davon, dass zwar Gedränge herrscht, aber nur der Not wegen und die Stimmung in keiner Weise bedrohlich sei. Die in Haiti unerfahrenen Soldaten würden lediglich die Lage falsch einschätzen. Deshalb werden aber die bereits vorhandenen Hilfslieferungen nicht verteilt. Im UNO-Camp, so berichtete die befreundete US-Ärztin, deren Überlebensbericht wir schon verschickt hatten, duschen die Soldaten und Helfer mittlerweile mit den angelieferten Trinkwassergallonen, weil diese eine Woche in der Sonne standen und jetzt zuviele Keime enthielten. - Während die Haitianer außerhalb des Camps dürsten.

Wir haben in die Wege geleitet, dass der haitianische Ableger der Haiti-Kinderhilfe, Tonel pa nou (Schutz für uns), als Hilfsorganisation bei der UNO registriert wird. Wenn der bürokratische Akt vollzogen ist, liefern die Soldaten morgens die nötigen Tagesrationen für die Menschen an, immerhin 1.500 Obdachlose. Damit kommen die Lebensmittel bei Bedürftigen an, der UNO bleibt jedoch die Verteilung auf der Straße erspart. Leider muss der letztendliche Schritt in Haiti vollzogen werden, und unsere Kontaktleute hatten heute entweder keinen Zugang zum Internet oder keine Zeit. Aber spätestens wenn Stephan und Roswitha in Port-au-Prince sind, kann die Registrierung abgeschlossen werden.

Halten wir die Daumen, dass alles gut geht.

Liebe Grüße,
heike fritz

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Do 21.01.2010 21:12
Liebe FreundInnen Haitis,

die Radioaufrufe haben sich schon gelohnt, wir haben eine erste Liste von 41 überlebenden Patenkindern !!!!!

# 718 Jeanna Paul
# 666 Fatima Alexandre
# 226 Bettina Arty
# 660 Flovenise Auguste
# 558 Marion Dave Blanc
# 644 Line Joannah Carré
# 605 McWenger Dorléant
# 690 Dave Woodson Dorléant
# 613 Renette Dormé
# 506 Harold Dumène
# 553 Frantz Junior Frédérick
# 649 Sheedy Guerrier
# 259 Cathia Jean-Paul
# 718 Woodson Jean-Paul
# 13 Guérino Joseph
# 76 Hérold Joseph
# 66 Julien Joseph
# 35 Guerline Jules
# 675 Malaika Laury
# 526 Stéphanie Lebrun
# 504 Sendy Lhivers
# 505 Thierry Lhivers
# 694 Stanley Lindor
# 72 Claudy Louis-Jean
# 685 Djimmitry Marcelin
# 695 Mackenley Michaud
# 300 Rachelle Mombrun
# 659 Murielle Montilus
# 648 Guinther Noel
# 238 Stéphanie Pacifique
# 501 Dashny Paul
# 71 Jonas Pierre
# 274 Dana Pierre
# 228 Miracle Pierre
# 663 James Saint-Louis
# 19 Sindia C. Viard

Außerdem die Komitee-Mitglieder André Paul, Jeanna Paul, Guivens Sylvestre, Laumenaire Viltus, Laveus Wiltian.

Von Schwester Marthes Orden haben wir mittlerweile gehört, dass ihr Haus in Babiole zwar beschädigt, aber doch bewohnbar ist. Da aber alle anderen Niederlassungen eingestürzt sind, zogen alle 28 Nonnen aus der Region bei ihr ein. Gemeinsam würden sie bereits Pläne schmieden (und wie wir sie kennen auch schon loslegen), wie es weitergehen soll.

Stephan (Krause, 1. Vorsitzender) ist schon nach Haiti aufgebrochen. Neben Roswitha (Weiß, Beisitzerin) sind auch deren beiden Söhne in der Gruppe, die jetzt die Adoptivkinder nach Deutschland holen sollen. Diese vierköpfige Delegation wird versuchen, Wasser, Lebensmittel und Medikamente für unsere Betreuten über die Dominikanische Republik nach Haiti zu bringen und vor Ort einzukaufen - erste noch stehende Lager haben offenbar schon ab und zu geöffnet.

Noch etwas am Rande: Das amerikanische "Orphan Plane", das gestern die Adoptivkinder, die schon vermittelt, aber noch ohne Reisepapiere waren, abholen sollte (wie es auch Frankreich und die Niederlande schon getan haben), musste ohne Kinder wieder zurück in die USA. Das Sozialministerium hatte der kompletten Gruppe die Ausreise verweigert, weil von EINEM Kind kein Foto vorgelegen hatte. - Da sage einer, die haitianischen Behörden seien bei Adoptionen nachlässig und leisteten dem Kinderhandel Vorschub...

Liebe Grüße und haltet unseren Helfern die Daumen,
heike fritz

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Mi 20.01.2010 19:16
Liebe FreundInnen Haitis,

HEUTE KOMMEN TROTZ DES SCHWEREN NACHBEBENS DIE GUTEN NACHRICHTEN !!!!

* Unserem allerliebsten Freund Martin ist es gelungen, die Luxemburger Sektion von Ärzte ohne Grenzen zu einem Einsatz bei Henfrasa zu überreden. Wir haben zwar noch keine Bestätigung aus Haiti erhalten, aber in der Einsatzzentrale hieß es, die Hilfe sei morgens (in Haiti) raus.

* Außerdem organisiert Martin medizinischen Nachschub für unser Krankenhaus "Centre de Santé de Notre Dames de Lourdes". Martin, wir stellen Dich mit Ti André auf die Stufe des modernen "hewo national" (= Nationalhelden).

* Für die Haiti-Reise von Stephan Krause (1. Vorsitzender) und Roswitha Weiß (Beisitzerin) hat die Haiti-Kinderhilfe 30 wasserdichte LED-Taschenlampen angeschafft, die mit Kurbeln geladen werden und an denen man notdürftig auch Handy-Akkus laden kann. Damit werden unsere Partner in Haiti ausgestattet, haben nachts Licht und wir können mit dem Komitee kommunizieren, wenn die Telefonübertragung wieder klappt und müssen nicht auf die Wiederherstellung des Stromnetzes warten.

* Der Expeditionsausrüster Lauche & Maas hat uns zusätzlich 20 kurbelbetriebene Stirnlampen für die Helfer bei Henfrasa geschenkt, damit die im Dunkeln die Hände zum Arbeiten frei haben. Außerdem 2.000 Beuteltrinkflaschen, mit denen die Obdachlosen am Wasser-Lkw (wenn denn einer vorbeikommt) zwei Liter abfüllen können. Herzlichen Dank!

* Die Wasserfilterfirma Grünbeck schickt mit dem MHW München eine Wasseraufbereitungsanlage komplett mit einem Generator in einem Container nach Haiti. Sie kann täglich 300 bis 400 Liter Wasser säubern. Nach dem Nothilfeeinsatz mit dem MHW erhält die Haiti-Kinderhilfe die Anlage eventuell für eines ihrer Projekte. Eigentlich noch verfrüht, aber herzlichen Dank!

* Bachtenkirch-Interbike aus Möhnesee hat sich heute bei einem Gerichtstermin mit einem Lieferanten gütlich geeinigt. Der polnische Hersteller muss insgesamt 3.000 Euro Strafe an die Firma Bachtenkirch bezahlen, die die Summe wiederum der Haiti-Kinderhilfe zur Verfügung stellt. Herzlichen Dank!

* Die Siebtklässler der Hauptschule Fürstenfeldbruck West am Asambogen haben 550 Euro durch einen Kochbuchverkauf erwirtschaftet. Eigentlich wollten sie das Geld in eine Party investieren, haben sich aber angesichts des Erdbebens in Haiti entschieden, es der Haiti-Kinderhilfe zur Verfügung zu stellen. Großartig, herzlichen Dank!

* Von einem unbekannten Absender trudelte gestern ein fetter Briefumschlag ein. Der Handschrift nach ein Mann hat angesichts des ZDF-Beitrags über die Haiti-Kinderhilfe alles Bargeld, das er zu Hause hatte, 500 Euro und Devisen aus bestimmt 20 Ländern, deren Wert wir nicht abschätzen können, an uns geschickt - und sich entschuldigt, dass er nicht mehr tun kann!

Die Katastrophe bringt auch das Allerbeste bei den Menschen hervor - und wie hat es Lauche-und-Maas-Mitarbeiter Felix so schön formuliert: Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker!

Liebe Grüße,
heike fritz & Stephan Krause

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Di 19.01.2010 15:01
Liebe FreundInnen Haitis,

es gibt wieder neue Nachrichten:

* Nadine Cardozo ist nach fünf Tagen LEBEND aus den Trümmern des Hotels Montana geborgen worden - unsere vergangene Mail ist in diesem Punkt glücklicherweise überholt (Tochter der Besitzerfamilie).

* Ace Saintlouis' Zustand ist kritisch. Nach zwei Tagen medizinischer Stabilisierung in der DomRep ist er seit Sonntag in Miami, wo er in einer Spezialklinik behandelt werden soll. Wir wissen leider immer noch nicht, was ihm genau fehlt. Er hat aber die Vier-Wort-Mail zu seiner Ausreise selbst geschrieben (Vorsitzender unseres Partnervereins Tonel pa nou in Haiti)!

* Yves-Marie Abelards Schwester Edwige und ihre Cousine sind vermisst. Der Vater ist unverletzt, aber natürlich sehr in Sorge (Yves-Marie: Patenkind, studiert in Venezuela).

* James Guillaume haben wir bei einem Interview im Fernsehen gesehen. Ihm geht es gut, aber er hatte große Bedenken, weil die Versorgung der Erdbebenopfer nicht klappt (ehemaliges Patenkind, jetzt Hausmeister der deutschen Botschaft).

* In Wall's Guesthouse sind zwei weitere - kanadische - Gäste tot aus den Trümmern geborgen worden. Damit sind insgesamt fünf Gäste und zwei Angestellte dort ums Leben gekommen. - Für die, die's genauer interessiert, wir wissen nur, es handelt sich NICHT um die Köchinnen, die sind beide mit heftigen Schürfwunden herausgekommen.

* Das Verwaltungsgebäude von Henfrasa hat überall Risse. Der Computerraum ist zerstört. Alle Bildschirme sind kaputt, und unser Informatiker, Laumenaire, befürchtet, dass auch die Rechner zerstört sein werden. Da sich die Gebäude noch immer wieder mal senken, werden schadhafte Häuser wie Henfrasa nicht mehr betreten, sobald alles Wichtige herausgeholt ist. Der Generator ist zerstört, es gibt keinen Strom.

* Auf dem Gelände von Henfrasa campieren inzwischen mehr als 1.000 Menschen. Die Situation ist angespannt, weil immer mehr Obdachlose freie Flächen in der Stadt suchen, auf denen sie sich für längere Zeit niederlassen können. Jair und Vladimir Saintlouis versuchen, deren Versorgung zu organisieren. Sie haben schon einen Hilfsaufruf im wieder tätigen Radio Signal veröffentlichen dürfen. Derzeit gibt es aber kein Wasser für eine solche Menge, keine Nahrung, keine Medizin und keine Ärzte. Die deutschen Hilfsorganisationen haben uns bereits einen Korb gegeben, dort tätig zu werden, ihre Kräfte seien anderweitig gebunden. Über einen befreundeten Arzt, der schon viele Auslandseinsätze gemacht hat, versuchen wir gerade, die belgische oder luxemburgische Sektion von Ärzte ohne Grenzen dazu zu bringen, ein Notkrankenhaus dort aufzubauen. Es bestehen berechtigte Hoffnungen, dass das klappt.

* Ti Andre und das Patenschaftskomitee versuchen, sich einen Überblick über die überlebenden Patenkinder und ihre Familien zu verschaffen. Auch wollen sie die wichtigsten Schulgebäude inspizieren, damit wir uns ein Bild davon machen können, wie das Patenschaftsprogramm weitergeführt werden kann. Die Haiti-Kinderhilfe hat die Paten bereits gebeten, das gezahlte Schulgeld für das laufende Jahr an die Patenkinder auszahlen zu dürfen, damit sie sich entweder Essen oder medizinische Behandlung leisten können. Angesichts der Katastrophe hoffen wir, dass viele Paten der Umwidmung der Gelder zustimmen. Laumenaire hat einen Aufruf verfasst, dass sich die Patenkinder bei Henfrasa zur Bestandsaufnahme melden sollen, der täglich mehrfach per Radio ausgestrahlt wird. Er meint, uns in einer Woche Nachrichten melden zu können, auf denen aufbauend wir Konkretes planen können.

Jetzt noch etwas Wichtiges zum Schluss: Stephan Krause (Vorsitzender der Haiti-Kinderhilfe) und Roswitha Weiß (Beisitzerin, Gründungsmitglied und langjährige Haiti-Bewohnerin) werden Ende der Woche - als Guides für eine andere Hilfsorganisation und auch auf deren Kosten - nach Haiti fliegen. Sie werden Bares mitnehmen, damit wir Geld an unsere Partner ausgeben können, die sich damit Wasser und Lebensmittel kaufen können, sobald wieder etwas erhältlich ist. Die Haiti-Kinderhilfe wird dafür einen Teil der eingegangenen Spenden aufwenden, da das Überleben jedes einzelnen unseres Erachtens nach Priorität genießen muss.

Herzlichen Dank für all Ihre/Eure Unterstützung, wir hoffen, in Eurem Sinne zu handeln und tun unser Bestes,

liebe Grüße,
heike fritz & Stephan Krause

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Sa 16.01.2010 17:51
Liebe alle,

allmählich kommen mehr Nachrichten aus Haiti durch. Um Sie und Euch auf dem Laufenden zu halten, hier kurz und knapp die wichtigsten Infos:

* Ace Saintlouis war beim Tanken, als sich das Erdbeben ereignete. Sein Wagen explodierte. Er wurde unter den Trümmern der zusammenbrechenden Tankstelle begraben, nach gut drei Stunden geborgen und in ein Krankenhaus gebracht. Das war aber selbst kaputt, man hat ihm dort nur ein Schmerzmittel gegeben und nach Hause geschickt. Sein Haus steht, und er schaffte es am Donnerstag, in die Dominikanische Republik ausgeflogen zu werden. Den jüngsten Angaben zufolge ist sein Zustand kritisch.

* Aces Sohn Jair ist auch am Leben. Roswitha steht in engem Kontakt mit ihm, und er hat zugesagt, uns bei allen Arbeiten zur Seite zu stehen. Da auch die Bankgebäude (Citybank und Sogebank an der Delmas, wer sich auskennt) zerstört sind, wird er als Banker auch wichtig sein, wenn wieder Geld fließen soll.

* Rob Padberg und seine Familie leben. Im Hotel Villa Creole haben sie viele Journalisten untergebracht, die alle berichten, wie wunderbar die Familie den Obdachlosen hilft. Offenbar haben sie mit einem Gartenschlauch eine provisorische Wasserversorgung für alle geschaffen, die auf der Straße leben.

* Dr. Guerlaine Laplanche lebt. Ihre Familie auch. Näheres nicht bekannt.

* Schwester Marthe lebt. Wir haben endlich ihren Orden in Belgien ausfindig gemacht. Laut der Zentrale haben alle 28 in Port-au-Prince tätigen Nonnen überlebt, obwohl ALLE Niederlassungen dem Erdboden gleich sind. Sie sind überzeugt, dass Gott die Hand wenigstens über die Schwestern gehalten hat.

* Ti Andre lebt und ist unverletzt. Er habe nicht alle Komitee-Mitglieder selbst gesehen, aber er habe gehört, dass alle wohlauf sind. In vielen Familien seien aber Opfer zu beklagen. Sie sind alle obdachlos und haben auch den wenigen Besitz verloren, den sie ohnehin hatten, ABER WIR SOLLEN UNS KEINE SORGEN UM SIE MACHEN, SIE SEIEN AM LEBEN.

* Unsere Tonel-pa-nou-Zentrale bei Henfrasa ist teilweise zerstört. Genaues wissen wir leider nicht. Aus Ti Andrés Mail ist aber zu entnehmen, dass er nicht aus unserem Computerraum schrieb, der könnte also auch zerstört sein. Auf dem Freigelände von Henfrasa und der angrenzenden Schule campieren viele Obdachlose. Die Bilder von CNN, wo viele in einem Park mit GROSSEN Bäumen leben, stammen aus dem Garten der angrenzenden Schule.

* Von Nixon Siméons Familie (Nixon ist das ehemalige Patenkind, das bei der GTZ in Deutschland ausgebildet worden war und jetzt in Frankfurt studiert) sind zwei Geschwister verletzt. Seine Cousine und seine Großmutter befinden sich noch in den Trümmern, und er hofft, dass sie bald lebend befreit werden.

* Nach Auskunft von Katrin Unbekannt lebt auch Cecile Gabathuler. Alle ihre Kinder im Heim hätten überlebt, das Haus sei aber zerstört. Sie leben unter freiem Himmel. Das Essen reicht noch für sechs Tage, das Trinkwasser sei aber bereits knapp. Es gibt ein Spendenkonto zu ihrer Unterstützung: Holger Schneider, Spendenkonto Volksbank Marl/Recklingshausen, BLZ 42661008, Kto-Nr. 142633701, Verwendungszweck: Maison de l´Espérance-Haiti

* Das Hotel Montana ist komplett zerstört, 200 der 300 Menschen in der Anlage sind unter den Trümmern begraben worden. Von der Besitzerfamilie Cardozo hat Nadine nicht überlebt.

* Von Wall's Guesthouse ist eines der beiden Häuser eingestürzt (vermutlich das mehrstöckige Gebäude links, das lesen wir aber nur zwischen den Zeilen heraus), zwei Bedienstete und drei Gäste sind dabei gestorben.

Von den Patenkindern wissen wir noch nichts. Aber Ti André wird alle registrieren, die bei Henfrasa vorstellig werden. Einzelheiten, was danach passiert, wird Roswitha mit ihm abklären.

Natürlich erhalten wir nur Nachrichten von Leuten, die überlebt haben und relativ wohlauf sind. Es wird sicher sehr schwierig werden, Informationen über Verletzte oder Tote zu erhalten, zumal bis zum heutigen Samstag schon 40.000 Leichen in Massengräbern beerdigt wurden, die nicht identifiziert und auch nicht fotografiert worden waren.

Liebe Grüße,
heike fritz & Stephan Krause