Sonntag, 31. März 2013

Donnerstag

Straße nach Jacmel alles abgeholzt
zu neunt auf Grundstücksbesichtigung



Fest in Aquin
Bar

 Ich startete vor 6 Uhr unsere Grundstückssuche im Süden, wir waren zu 9 unterwegs!!
Das erste Grundstück, kurz vor Leogane, sollte 'unendlich' groß sein, bis in die Berge, bepflanzt selbst mit Weintrauben. Worüber wir uns schon am Mittwoch noch mit Barbara und Andreas wunderten.
Tatsächlich war es ca. 800 qm groß, gute Erde, bepflanzt mit schönen noch kleinen Obstbäumen, umgeben von noch anderen kleineren Häusern. Also nix..... Das zweite Grundstück, soll ein Traum von 3 Caro in Jacmel sein. Empfohlen von Frantzy, ehemaliges Patenkind No.22 vor 20 Jahren. Jetzt Priester nach der ersten Weihe, er war schon einige Jahre in Afrika, Frankreich, Südamerika.
Er studiert noch Anthropologie an der Uni in Kanada und fliegt hin und her. Also, schon mal eine Karriere vom Slumkind, sicherlich auch Verständnis des Projektes. Wir fahren 45 km Pass-Straße nach Jacmel. Unterwegs erwischt uns ein starker Schauer und jetzt nur noch zu 8, pressen wir uns in das
Auto um nicht durchnässt zu werden. Der Regen ist schnell vorbei und ein Teil kann wieder hinten auf der Ladefläche sitzen. Wir wollen Bananen kaufen, finden fast keine, die wenigen so teuer, dass
selbst meine Haitianer lachen und verweigern, so viel Geld auszugeben. Kosten wären 7 Euro für ca. 30 kleine Bananen gewesen. Wir haben aber immerhin Brot gefunden. Wir halten öfters an und fragen nach den Preisen der Ware, kaufen dann Avocados, die zwar schon grausig aussehen, aber noch bezahlbar sind. Ich hatte am Vortag schon in PaP Proviant eingekauft. Der sollte zwar das Abendessen werden, nun halt Frühstück für alle. Nach der ersten großen Brücke, ca. 5 km vor der Stadt Jacmel geht links eine Sandstrasse in eine Ebene, leicht ansteigend. Noch der Garten Eden. Viele Gärten, Bäume.......müssen nach einigen Kilometern ein trockenes Flussbett durchqueren, und schlagartig wird das Gelände auch trockener, es wächst fast nichts mehr. Wir sind angekommen.
Es gibt auf der Ecke eine kaputte Schule, links wird gerade von einer spanischen Hilfsorganisation eine Dispensery gebaut. Allerdings nur das Gebäude, es soll der haitianischen Regierung übergeben werden, die dann das Personal stellen und das Zentrum weiterführen soll.

Das uns angebotene Grünstück, ein steiniges, abgeholztes, steiles Dreieck, bei jedem Regen wird das Wasser von dem dahinter befindlichen Berg ein Problem werden, Größe höchstens 2000 qm, also zu klein, auch keine gute Erde, sondern eher Wüste. Wenn ich ehrlich bin, war ich irgendwie enttäuscht, wir müssen nun die Pass-Straße wieder zurück, es hat fast 3 Stunden Zeit gekostet und war nicht das, was man sagte.
Drittes Grundstück in der Plaine de Petit Goave, eigentlich mehr vor Miragoane, in Blickfeld zu einem Süßwassersee. Es geht ca. 1 km von der Hauptstraße, auch auf einer geteerten Straße zu der kleinen Stadt Olivier. Das Grundstück liegt rechts neben der Straße, an einer Ecke ist eine kleine Kirche gebaut worden. Das Gelände an sich ist wunderschön. Leichte Hanglage, hinten dann ein steiniger nicht sehr hoher Bergrücken. Gute Erde schon bepflanzt mit einigen Mangobäume. Wenn man oben auf dem Grundstück steht, hätte man links unten die Kirche, an der rechten Seite ist eine Senke und nochmals ein schönes Grundstück, was aber nicht dazugehört, aber man würde mit den Eigentümern verhandeln, da wir an einer wirklich großen Parzelle interessiert sind. Gehen alles ab, Diskussionen, erklären das Projekt. Alle sind positiv. Man erklärt uns, es gäbe noch ein Grundstück 3 Caro groß, ob wir uns ansehen wollen. Ich sage zu für die Rückfahrt. Wir fahren auch am Sonntag nochmals hin, es stellt sich raus, dass die 3 Caro hinten über die Berge sind....
Wir starten schon sehr unter Zeitdruck zum nächsten Grundstück. Hier ist es der Pasteur, wir haben ihn letzten Sonntag in der Messe bei der Seeds-Schule  kennengelernt. Er stammt aus dieser Gegend und hofft sehnlichst auf ein Projekt zur Verbesserung der Region. Ca. 10 km  hinter Miragoane, geht es links in die Berge, Sandstraße ab der Carrefour Moussignac, die Sandstraße teilt sich, einmal Fonds de Blancs, wir aber die linke Abzweigung Richtung höhere Bergkette. An der Abfahrt sagt er, es seien 80 Minuten, ich schluckte schon leicht, denn es ist schon Spätnachmittag. Aber nachdem er den ganzen Tag mit unterwegs war, will ich ihn nicht enttäuschen und man weiß ja nie.... Wir fahren und fahren und fahren, die 80 Minuten sind schon vorbei. Der Weg wird immer unpassierbarer, enger, riesige Steine schauen raus, es ist teilweise sehr steil und durch den Regen vom Vortag wie Schmierseife. Ich zaudere schon.... frage nochmals nach der Restentfernung, er meint ca. 30 Minuten. Ich fahre einige Minuten, dann stoppe ich und mache ihm klar, dass wir hier nichts machen würden. Die Weg ist fast nicht mehr passierbar, wird immer gefährlicher, mit Esel noch ok. Es tut mir mehr als leid, da er wirklich sehr, sehr nett ist. Er will mich überzeugen  doch noch eine Chance zu geben. Als ich ablehne, bricht er richtig zusammen. Es tut mir wirklich leid, aber ich denke, ich bin kein Feigling bei einer Offroad-Strecke, aber was nicht geht, geht nicht. Außer Frage, die Leute hier in dieser vergessenen Region sind bettelbettelarm. Wir versuchen ganz vorsichtig umzudrehen und fahren langsam wieder Richtung Hauptstraße. Es ist nun schon dunkel, der Pasteur bekommt von mir einen Geldbetrag, damit er nach Port au Prince zurückfahren kann.
Am Vorabend sandte ich noch spät ein Email an Claudette Coulanges in Aquin, dass wir sehr spät kommen und eine Übernachtungsmöglichkeit bräuchten, egal wo. Wir rufen sie von unterwegs an, sie hat leider keine Möglichkeit gefunden.
Am Mittwochnachmittag sprach ich mit Rob Padberg, dass ich in den Süden, auch nach Aquin fahren würde, zwecks Grundstückssuche. Er gab mir die Telefonnummer von einem Priester in Aquin, den solle ich mal kontaktieren, der könnte mir vielleicht weiterhelfen. Wir riefen Pater Gousse an, erwähnten Rob Padberg und er bot uns direkt eine Schlafmöglichkeit an. Es war in einem kleinen Häuschen,direkt neben dem großen Platz wo das Festival statt fand. Man organisierte uns Wasser zum 'entstauben', wir hatten ein Bett, waren unter seinem Schutz - alles wird gut. Im Priesterhaus war Besuch von Port au Prince einquartiert. Zwei junge Mädchen finden wohl Benson und Guinther recht nett und als sie uns zu unserer Übernachtung bringen, ein Mädchen 'komisch' frägt, ob ich denn auch mit zum Festival gehe, entscheide ich, die 'Jungen' alleine gehen zu lassen. Allerdings am anderen Morgen, erklärt man mir, dass selbst der Pfarrer abends mit war, schade, dass ich lieber schlafen wollte. Wobei man auch mit doppelt Oropax nicht schlafen kann, wenn genau daneben haitianische Bands auftreten. Während dieses 3tägigen Festivals ist alles vertreten was in Haitis Musikwelt Rang und Namen hat, sogar eine Gruppe aus Elfenbeinküste ist da. Tanzgruppen, Folklore usw. Tagsüber gibt es Sportprogramme, es werden Ausflüge angeboten, Verkaufsstände mit haitianischen Artikeln, meist Stickereien, Kunstgewerbe und jede Menge Essstände. Es freut mich, dass es auch diese Seite in Haiti noch gibt.
Tschau
Roswitha
PS: ich habe zwei Fotos von der Straße von Jacmel beigefügt. Es ist erschütternd, wie weiter abgeholzt wird. Ganze Teile sind nur noch Sand und man kann sich ausrechnen, wann selbst die Straße wegbrechen wird. Es gab schon einige Stellen, die mit Sandsäcken abgesperrt waren. Für mich war dies immer eine wunderbare, grüne,Traumstrasse. Ich erinnere mich an riesige Bäume am Straßenrand, wo wild als Schmarotzer Bromelien wuchsen. Das was ich in Erinnerung hatte, gibt es leider nicht mehr.

 

Samstag, 30. März 2013

Letzte Tage in Haiti



Sicht auf PaP
Das schräge Grundstück
15 Liter pro Kopf


Die Dorfgemeinschaft ist immer dabei

Unsere letzten beiden Tage, der Dienstag und der Mittwoch, waren von noch größerer Hektik und Aktionismus geprägt als vorher die Tage! Roswitha wollte möglichst viel mit uns anschauen und regeln, für die letzte Woche bleibt ihr ohnehin noch genug zu tun.
Da wir aber alle noch die Fahrt nach Thiotte in den Knochen hatten, beschlossen wir, den Dienstag nicht wieder um 06:00 beginnen zu lassen.
Heute sollten 10:00 Uhr reichen. Wieder einmal führt uns der Weg zur Henfrasa, die Suche nach einem Grundstück wollen wir noch ausdehnen, so dass Roswitha die Eltern unserer Patenkinder in PaP, die draußen auf dem Land Verwandte und Familie haben, eingeladen hat, um sie (mit Aussicht auf eine Prämie bei Vertragsabschluss) auch in die Suche nach einem Grundstück einzubinden. Die Eltern sind Feuer und Flamme, sicher sind einige Vorschläge zu erwarten.
Mittlerweile haben wir aber auch von anderen Seiten noch Tipps bekommen, so dass wir unter Anwesenheit von Guivens anschließend wieder Richtung Nord-West fahren, weil in der Ebene hinter Cabaret zwei Grundstücke zum Verkauf stehen.
Um es kurz zu machen: Eines davon ist fast nur Hang, wie ein halber Kegel zwischen zwei Flusstälern völlig ohne Wasser, das allerdings wird sich nach den ersten Regenfällen wohl grundlegend ändern, so dass sich Jahr um Jahr die Grundstücksgröße verkleinern wird. Nur stacheliges, trockenes Kraut. Zudem steht auf der einzigen geraden Fläche bereits ein (sehr provisorisches) Gebäude, das als Gottesdienstraum genutzt wird. Schwierig, daran tasten zu wollen!
Das zweite Grundstück begeistert mich zunächst eigentlich, denn es sind etwa 15000 m² Ackerland, nahezu steinfrei und bereits kultiviert. Allerdings ist davon nur maximal ein Drittel verkäuflich, der Rest der uns angebotenen 2 Careau ist wieder unbearbeitbar, Kakteen geben uns Hinweise auf den zu erwartenden Wasserhaushalt, zudem gibt es für das ganze Grundstück auch keinen Straßenanschluss. Er ist auch nicht einzurichten! Das Grundstück ist also – selbst während der Bauphase – nur mit Eseln oder halt zu Fuß zu erreichen und zu beliefern (mindestens 800 Meter).
Beide Grundstücke liegen nordöstlich der Straße zwischen Cabaret und San Marc, dort, wo garantiert auch keine Brunnenbohrung Sinn hat. Südöstlich der Straße, also da, wo Bellanger liegt, wird man aber keine Grundstücke bekommen, denn auf dieser Höhe sind alle Seegrundstücke längst in der Hand von Privatpersonen. Die Straße trennt das eine vom anderen Haiti. Bei beiden angebotenen Grundstücken hätten wir eine Anwohnerschaft, die genau die richtige wäre für ein Hilfsprojekt, die in uns eine Zukunft sieht und die wir wieder einmal enttäuscht und mit Vertröstungen zurück lassen müssen.
Zwischendurch sehen wir (wie so oft in diesem Land) zwei Mädchen, die Wassereimer auf dem Kopf tragen. Es sind deutlich größere als unsere 10-Liter-Eimer, etwa so groß wie 15-Kilo-Farbeimer. Ich traue mich und möchte einem Mädchen den Eimer vom Kopf nehmen, um zu schauen, wie viel sie wohl hineingeschüttet haben. Ein Versuch reicht – ich lasse es lieber, die Eimer sind randvoll! Es ist für mich unvorstellbar, wie man sich in dem Alter eine derart große Last auf den Kopf stellen kann, dabei auch noch fröhlich plaudernd kilometerlang laufen kann. Was sagen die Bandscheiben dazu?
Mittwoch – unser letzter Tag!
Lelaine Laplanche, die aufgeweckte Dame mit den roten Haaren, bestand noch auf unserem Besuch – zudem wollten wir unsere Schule noch unbedingt sehen! Also fahren wir am Mittwochmorgen in die Seeds-Schule, die Kinder dort kriegen erst jetzt die Zeugnisse, damit sie auch garantiert noch einmal in den Ferien kommen, wenn wir sie besuchen können. Eigentlich eine Zumutung – aber es sollte sich auch für sie lohnen…
Bereits am Sonntag hatten wir diese Schule während eines Gottesdienstes kennengelernt, waren da schon erstaunt und freudig überrascht, wie angenehm luftig und schattig dieses Gebäude ist. Von den Bilder her hatten wir eher mit einen Holzverschlag gerechnet, staubig, drückend, in einem erbarmungswürdigen Zustand – halt so, wie man ein paar zusammengenagelte Sperrholzplatten interpretiert. Direkt nach dem Erdbeben war die Schule entstanden, als keine solide Bauweise mehr erlaubt war – zumindest das, was man bis dahin unter solide verstand. Erst sollten neue Baugesetze her, die die Statik regeln sollten, solange bestand ein Baustopp für Stein-auf-Stein oder Betonbauten. (Ob es diese Baugesetze mittlerweile gibt, ist fraglich, die massive Bauweise gibt es jedenfalls wieder, mit all den Fehlern und Nachlässigkeiten, die aus so vielen Häusern Todesfallen gemacht hatten.)
Doch die Schule ist in einer Art Holzskelettbauweise errichtet worden, fachlich sehr ordentlich ausgeführt, nur die Gebäudeecken und natürlich die Böden wurden aus Beton gegossen. So macht das Gebäude einen soliden Eindruck und vermittelt nebenbei eine Leichtigkeit, die anderen Häusern, die wir betreten haben, einfach fehlt. Zudem sehen die Holzwände viel angenehmer aus als rohe Steine. Alle Klassenräume sind hell und werden durch die oben offenen Seiten gut belüftet. Da das Holz einen höheren Dämmwert als der übliche Betonstein hat, strahlen sie nicht so viel Wärme ab und auch die Akustik ist angenehmer – obwohl die Klassenräume selbst nicht voneinander getrennt sind.
Die Schüler empfangen uns mit eigens einstudierten Liedern, sogar ein Flötenstück ist darunter, was Barbara besonders freut. Es klingt auch wirklich gut – offensichtlich hat den Schülerinnen und Schülern jemand gehörig die Flötentöne beigebracht… (Keine Angst, weitere Kalauer erspare ich mir, auch wenn’s schwer fällt!).
Besonders auffällig ist, dass der Lehrer nur am Rande steht und die Schüler selbst machen lässt. So was haben wir bislang in keiner Schule gesehen! Ein Schüler, von der Gruppe selbst „Maestro“ genannt, steht vorne und dirigiert, gibt sogar die Einsätze für das Verbeugen, und geht ganz in seiner Aufgabe auf. Die Schülerinnen und Schüler sprechen ein sehr gutes Französisch – eine der wesentlichen Voraussetzungen, wenn sie irgendwann einmal aus ihrem Schicksal heraus wollen.
Dieser pädagogisch auffällige Stil ist in allen Klassen zu beobachten, wir spüren einen angenehmen Drang zur Selbständigkeit. Danach bekommen sie alle ihre Zeugnisse, und was ich persönlich nicht so gut finde: Die vier besten Schüler einer Klasse werden besonders herausgestellt und beklatscht. Ich gehe ganz stark davon aus, dass alle das Jahr über ihr Bestes gegeben haben. So unterschiedliche Altersstufen in einer Klasse (ein 18jähriger in der Dritten!), so verschiedene Schicksale (ein Waise seit dem Erdbeben, von dem ich gleich noch kurz erzählen werde), das kann man in einem Vergleich nicht gerecht fassen.
In allen Klassen werden dann von uns noch viele kleine Spielzeuge verschenkt, vieles davon war noch von der Containeraktion übrig und bringt – über ein Jahr verteilt – natürlich so viel mehr Freude. Und natürlich gibt es wieder Süßes!
Am Rande: Es ist wundervoll zu beobachten, wenn selbst älteren Menschen ein Leuchten über das Gesicht huscht, wenn man ihnen Bonbons gibt. Das haben wir oft genug in den Gegenden auf dem Land erlebt. Irgendwie kommt man sich ja ziemlich blöde vor, wenn man wie die Rheinländer an Karneval „Kamelle“ unters Volk bringt (jedenfalls als Nordmensch), aber die Reaktion ist jedes Mal wirklich einzigartig!
Die Lehrer bekommen von uns Solarlampen („Ti Soleil“ natürlich!), hier ist die Freude und das Erstaunen wirklich echt und ehrlich: Wenn man zu Grunde legt, dass ein Lehrer umgerechnet keine 40 EURO im Monat verdient, und das auch nur 10 Monate im Jahr, dann fängt man an zu begreifen, wie wichtig diese Dinge in ihrem Leben sind. Mittlerweile kann man Sets als Solarlampen auch an Tankstellen im Lande kaufen. Bei weitem nicht so leistungsstark wie unsere, vor allem nicht so haltbar, aber auch die kosten schon umgerechnet 39 EURO, sind also schlicht nicht erschwinglich. So bleiben sie Spielzeug für die Wohlhabenden, auch uns „blancs“ werden sie angeboten.
Alle Kinder sind weg und nur noch der Direktor ist bei uns, mit einer Ausnahme: Christophe, der Waisenjungen aus einem Zeltdorf, lebt dort mit seinen heute 15 Jahren seit dem Erdbeben alleine. Er kann wirklich sauber und abwechslungsreich zeichnen. Ihm hat der Verein vor einiger Zeit eine Menge Klappkarten und Stifte gegeben, damit er für uns Karten zeichnen kann, die wir vielleicht für ihn verkaufen können. Den großen Stapel hat er uns gegeben und gleich seinen Lohn dafür bekommen. Er wird davon lange leben müssen, aber er kann ja mittlerweile gut mit Geld umgehen. Die Karten werden wir im Verein und vor allem bei unserer Jubiläumsfeier anbieten! Wir nehmen ihn mit dem Auto bis vor seine Zeltsiedlung mit, er ist ein stiller, angenehmer und zurückhaltender Junge. In seinem Alter, glaube ich, hat er mehr erfahren und mehr gelernt, als wir jemals von uns behaupten können. Was für Schicksale. Wie soll man dem begegnen? Respekt sicherlich, vor allem bleibt Bewunderung. Ein Kind ohne echte Kindheit und trotzdem so verantwortlich und verlässlich.
Nach unserem Besuch in der Schule fahren wir mit dem Direktor etwas weiter in die Berge südlich(irgendwo rechts von der Straße nach Kenskoff an die Stelle, wo man so toll auf PaP hinunterschauen kann), um uns ein Grundstück anzuschauen, welches er uns für unser Projekt vorgeschlagen hat. Es ist zu weiten Teilen im Besitz des Ortes, aber auch einige der Anwohner bieten uns sofort benachbarte Grundstücke an, als sie hören, um was es bei uns geht. Jedes Mal das gleiche Spiel: Skepsis schlägt uns entgegen, wenn wir als Interessenten ankommen, kaum spricht man aber von unseren Vorstellungen (Vorschule, Schule, Ambulanz oder sogar Hospital, landwirtschaftliche Ausbildung, dann in der Schule Tanz, Musik, Spielen, Handarbeiten – alles das, was die öffentlichen Schulen nicht bieten), dann sind die Anwohner nicht mehr zu bremsen und möchten, dass wir möglichst umgehend mit dem Bau beginnen.
Das Grundstück ist absolut toll gelegen: Ein steiler Hang, Blick unverbaubar direkt auf PaP hinunter, das Meer, die Ile de la Gonave ist heute sogar zu sehen. Wenn man was für sich bräuchte, so um die Seele baumeln zu lassen: traumhaft! Aber bitte: Dazu sind wir nicht gekommen, und für Landwirtschaft eignet sich das Grundstück (und die anderen daneben) überhaupt nicht. Zudem ist es auch reichlich klein, insgesamt hätten uns vielleicht 1500 m² zur Verfügung gestanden. Die Menschen dort bräuchten uns schon: Ähnlich wie bei der Seeds-Schule läge das Projekt zwar in einer bevorzugten, sogar ziemlich teuren Gegend, aber mittlerweile sind so viele Bedürftige dorthin gezogen, Menschen, die vor den Villen der reichen Haitianer campieren, arme Bauern, die kaum noch Land ihr eigen nennen, weil darauf gebaut wurde, dass für das richtige „Publikum“ gesorgt wäre! Wieder schlechtes Gewissen, wieder im Auto untereinander beruhigen, dass man doch vor keine Wahl gestellt sei. Es ist bedrückend: So vieles könnte man tun, so vieles müsste man tun – aber wir haben uns nun einmal gegen das „Gießkannenprinzip“ entschieden. Und so enden wie die Toiletten, die wir regelmäßig unbenutzbar im Land stehen sehen, sollen unsere Projekte schließlich nicht.
Also wieder weiter, hinunter nach Port-au-Prince und den Nachmittag an uns gedacht. Ich könnte jetzt erzählen, dass wir uns Rum gekauft haben, Gebäck, CDs und noch so einige Sachen, aber dann wüssten unsere Töchter ja, was wir ihnen mitgebracht haben (den Rum natürlich nicht!). Na ja, und dann kaufen wir doch wieder für die Projekte ein: Schulbücher und Handarbeitsmaterial wie Nadeln, Stoffe und irgendein Garn, worüber sich zwei ausgewachsene Frauen stundenlang unterhalten können, streiten, wieder versöhnen, in Frage stellen, abwägen, begründen, manchmal sogar entscheiden, aber dann alles wieder von vorne! Als ich nach gefühlt mehreren Stunden in einem nichtklimatisierten Nähgeschäft ironisch frage, ob sie denn jetzt wirklich die richtigen Nadeln ausgesucht hätten und nicht vielleicht doch noch mal schauen wollten, erfahre ich, dass es ja doch bloß die eine Art gegeben habe – der männliche Leser weiß, wovon ich spreche und wie es einem in so einem Moment geht! In einer großen Bäckerei mit Café und Schnellimbiss treffen wir schließlich noch Guerline – tja, Port-au-Prince ist halt doch ein Dorf!?
Nachdem wir so viel Unerfreuliches bei unserer Anreise erfahren haben, gehen wir stark davon aus, dass wenigstens die Heimreise klappen wird. Nichts da: Wir sind schon ein bisschen früher da und erfahren auch noch, dass für den Flugplan eine andere Zeit gilt, als die, in der die Stadt lebt! Also noch eine Stunde mehr! Wie schön, dann können wir uns ja Zeit lassen: Tout va bien! Nur, dass bei dem vielen Umbuchen auf dem Herflug der Airfrance-Computer vermutlich keine Lust mehr hatte und uns ganz rausgeschmissen hat, damit haben wir nicht gerechnet. Sehr zur Freude der nach uns in der Reihe stehenden Kunden braucht der Angestellte am Airfrance-Schalter gute 90 Minuten, um uns Boardingcards auszustellen, sprich: Für uns überhaupt den Flug zu buchen – mit allen Verbindungen, die wir so vor uns haben. Und so wurde es doch wieder reichlich aufregend und ziemlich knapp! Nicht nur für uns, auch für die nach uns kommenden Kunden. Aber dafür hat das Flugzeug nach Paris in Point-à-Pitre fast 2 Stunden Verspätung, wodurch die Verbindung Paris-Hannover, durch den Flughafenwechsel in Paris ohnehin knapp, in Frage gestellt wird. Aber das ist uns auch egal jetzt. Wenn’s hart auf hart kommt, laufen wir halt…
Aber es klappt dann immerhin doch. Knapp und nervtötend.
Noch sind wir nicht richtig zu Hause angekommen, wir können den Aufenthalt längst nicht richtig einschätzen. Die Fotos müssen erst noch einmal durchgearbeitet werden, was bei knapp 3000 Stück nicht so schnell gehen wird (Kein Scherz, davon sind aber 600 Stück nur Fotos von Patenkindern). Irgendwann werden wir die Reise aufgearbeitet haben, dann werden wir vielleicht auch etwas abgeklärter erzählen können. Bis dahin bedanke ich mich bei den Leserinnen und Lesern und warte selbst auf Roswithas Berichte!
Andreas

Montag

Ein Morgen voller Ruhe. Mitten in einem lebhaften Stadtteil nahe Walls und unserem Krankenhaus liegt das Hotel Coconut, in dem wir die letzten Nächte verbringen werden, wie eine paradiesische Enklave. Nur ganz schwach kann man den täglichen Lärm der Straße hinter den Mauern und durch die vielen Bäume und Büsche hören. Kein Hotel nach Kriterien, die ihm in Europa auch nur einen Stern geben würden, aber sauber, freundlich, karibisch und betont kreolisch gestaltet. Es ist angenehm, hier zu leben.  



Unser Frühstück

Schnittlauchfelder
Marktstände
Gestern (Montag) Morgen wurden wir schon um 05:30 von Roswitha abgeholt, es sollte für 2 Tage nach Thiotte gehen. Nahe der Grenze zur Dominikanischen Republik, etwa auf Höhe von Jacqmel befindet sich diese Stadt, der eine ganze Region ihren Namen gegeben hat. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass es hier wirklich ganz weit draußen ist, ein Blick auf die Straßen, dass es das wohl auch bleiben wird. Wer aber glaubt, wir hätten ja immerhin 6 bis 7 Stunden schlafen können, der irrt doch ein wenig: Auf der Baustelle unseres Guesthouses (in 5 Metern Entfernung zu unserem Zimmerfenster) wurde diese Nacht die Betondecke des Erdgeschosses gegossen. Da man sich des in Haiti bei Großbaustellen heutzutage durchaus üblichen Fertigbetons oder gar einer Betonpumpe nicht bediente, sondern den Beton direkt mit Schaufeln vor Ort anmischte und ihn in 5-Liter-Eimern in langer Reihe nach oben transportierte, ergaben sich naturgemäß Koordinationsprobleme. Die Betondecke muss samt Anschlüssen in einem Zug gegossen werden, damit sich keine Trocknungsrisse ergeben und weil sich bereits abgebundener Beton und frischer nicht optimal verbinden. Da bei Temperaturen wie in PaP der Beton zudem schneller abbindet, wurde an 4 Stellen gleichzeitig gearbeitet. So hörte man gleich mehrere Vorarbeiter lautstark um Tempo fordernd rufen, die Arbeiter der Transportketten kündigten mindestens ebenso lautstark die weitergereichten Eimer an, die menschlichen Betonmischer mussten angefeuert werden, die Zementsäcke herbeigerufen und die LKW mit den Sand und Kiesladungen eingewiesen werden. Diejenigen auf der Baustelle, die gerade nichts zu rufen hatten, sangen dabei verschiedene „Work-Songs“, wie wir sie aus Beschreibungen von Tomatenpflückern bei Marc Twain kennen. Verschiedene von verschiedenen Arbeitsgruppen, irgendwo zwischen Song-Contest und Sängerwettstreit, nur halt gleichzeitig und lauter. Da wir dabei ohnehin nicht schlafen konnten, störte es uns auch weniger, dass ein Bauscheinwerfer genau auf unser Fenster ausgerichtet war, der sogar die von uns verzweifelt davor geklebten Handtücher durchdrang. Diese Nacht hörten sie übrigens um 05:00 morgens nicht auf zu arbeiten, was uns dann aber auch egal war. Da soll man noch behaupten, in Haiti würde nicht am Aufbau gearbeitet…Wir fahren in den Sonnenaufgang hinein, durch dunkle Vororte, die ersten Müllhaufen brennen bereits und tauchen die Straßen in ein rötliches, flackerndes Licht. Schemenhaft huschen Personen über die Straße – man sieht sie erst ziemlich spät, weil die wenigen entgegenkommenden Fahrzeuge entweder blenden oder erst gar kein Licht haben. Viele der Autos sind mit verschiedenfarbig blinkenden LEDs bestückt, was nicht unbedingt zur Klärung ihres Standortes oder gar anderer notwendiger Informationen (Größe, Richtung, Geschwindigkeit) beiträgt. Doch um diese Uhrzeit läuft der Verkehr noch. An einer Tankstelle sagt man uns, dass sie zwar geöffnet habe, es Treibstoff aber erst ab Acht oder vielleicht auch Viertel nach Acht gäbe. Wir finden doch noch eine spendable Zapfsäule. Fast bis zur Grenze (Dort, wo man auf der Karte den großen See sieht) ist die Straße in gutem Zustand, Asphalt mit Unterbrechungen. Siebzig Minuten brauchen wir für die 42 km bis zur Abzweigung, die uns in die Berge führt, gestört nur durch unberechenbar gesteuerte TapTaps und eine Straßensperre, bei der man Wegezoll erpresst. Der Fahrer eines der personenbefördernden LKW (der Maxi-Version des TapTap) streitet sich gerade lautstark mit den Maut-Eintreibern, so dass niemand darauf achtet, wie wir unbehelligt durch die Sperre fahren. Ab jetzt befinden wir uns nur noch auf geschotterten Wegen. An Abbaustellen für das Material für Betonsteine immer an einem Fluss entlang, mnchmal sogar im Flussbett, schlängelt sich die Straße höher und höher. Fahrzeuge sind hier entweder Motorräder oder LKW, selten PKW wie unseres. Der Morgen beleuchtet wundervoll die Berge um uns, wir fahren im Schatten, es wird mit zunehmender Höhe sogar kühler. Die Bevölkerung hier wird schlagartig ärmer. Die Blicke in unser Auto immer befremdlicher. Kinder rufen hochentzückt und aufgeregt „Blancs! Blancs!“ hinter uns her, wenn der Wagen sich schon entfernt und sie in eine nahezu undurchdringliche Staubwolke gehüllt hat. Doch werden die Blicke auch wieder freundlicher, wie wir das schon bei Maissade erlebt haben. Die Menschen lächeln zurück, wenn wir sie freundlich anschauen, man fühlt sich absolut sicher, wenn man den Wagen verlässt. Keine bettelnden Kinder- und Erwachsenenhände strecken sich uns entgegen, wie das in Port-au-Prince ist, wenn man vor einer Ampel halten muss. Es geht über abgerutschte Straßenteile, durch Furten hindurch immer tiefer (respektive höher) in die Berge. Auch wenn hier wie überall der Raubbau an den Wäldern bereits weit fortgeschritten ist, so sind an den Hügeln und in den wenigen flachen Tälern sorgfältig bestellte Felder auf offensichtlich guter Erde zu sehen. Allerdings erreichen diese Felder selten Größen von wenig über 20 bis 50 m², was den Ertrag zwangsläufig reduziert. Zudem ist davon auszugehen, dass es diese Felder nach den kommenden Regenfällen nicht mehr geben wird. Zumeist wird hier Schnittlauch angebaut (sagt uns Guivens – ich persönlich frage mich, wer hier so viel Schnittlauch braucht?), eine andere Ertragsquelle ist durch die entgegenkommenden LKW nicht zu übersehen. Hochbeladen mit den allbekannten schmutzig-weißen Säcken wird der Wald Quadratmeter um Quadratmeter in Form von Holzkohle in die Stadt gebracht. Ein Anblick, der wütend und traurig macht. Kahle Berge um uns herum, die nur durch einzel stehende Bäume, nicht die stattlichsten ihrer Art, pittoresk und fotogen wirken.Am Flussufer ist erkennbar, dass das Wasser bei starkem Regen mindestens um 7 Meter steigt – einzelne, höher gelegene Häuserruinen zeugen davon, dass das Maß auch überschritten wird. Eine Stadt, die sich am Ufer des Flusses angesiedelt hatte, wurde beim Hurrikan Gustav vor 11 Jahren ganz weggeschwemmt, die Bewohner ertranken fast ausnahmslos. Der Fluss hat dabei eine riesige Menge an Steinen durch den Ort geschwemmt, auch jetzt noch ist das ganze Tal ein ausgetrocknetes Flussbett. Die Ruine der Polizeistation steht wie eine Art Mahnmal nur halb zerstört auf einem kleinen Plateau, nur etwas außerhalb blieb ausgerechnet der Friedhof dieser Stadt verschont. Heute treffen sich die Menschen dieser Region mitten auf den weißen Steinen zum Markt, ihre Marktstände aus dünnen Baumstämmen konstruiert, werden mit den Steinen fixiert, manche etwas erhaben, als könne man damit einer neuerlichen Flut entgegentreten. Weiter geht es, die Straße ist teilweise abgerutscht, im ersten Gang mit Allradbetrieb muss die richtige Passage über Auswaschungen, heruntergefallene Felsbrocken und an entgegenkommenden Fahrzeugen vorbei gefunden werden. Einmal steht vor uns ein TapTap-LKW, der, seine Größe ausnutzend, keinen Deut zurückweicht. Roswitha muss eine schmale Schneise zwischen Abgrund und Felswand rückwärts hinunterrollen, bis wir eine breitere Stelle erreichen. Dabei immer wieder die Gefahr, mit dem Wagen aufzusetzen und eventuell ganz unbeweglich zu bleiben.Da wir noch vor den Regenfällen dieses Jahres stehen, ist eigentlich schon hier klar, dass das uns in Thiotte angebotene Grundstück wohl kaum diskutabel ist. Ganz klar muss man damit rechnen, monatelang keinen Zugang zu der Stadt zu haben. Noch bleibt uns allerdings die Hoffnung, einen zweiten Zugang über Jacmel zu haben. Wir beschließen, die Rückfahrt darüber zu versuchen.
Nach dem Flussbett geht es hinauf, die Straße selbst wird aber besser. Harte, spitze Steine, große Schlaglöcher, aber nichts Ungewöhnliches, vor allem keine gefährlichen Stellen, die eine Benutzbarkeit der Straße auf Dauer fragwürdig machen. Aber es wird immer kälter. Bis 2600 Meter reicht hier der höchste Gipfel, staubig bleibt es bis ganz oben: Die Baume und alle anderen Pflanzen sind weiß, wie bei uns im Winter. Wie sie bei dieser Staubabdeckung noch an das notwendige Licht kommen, bleibt ein Rätsel. Apropos Bäume: Hier oben gibt es noch eine große Waldfläche, Bäume ohne Ende, Kiefern zumeist, am Boden Agaven, teilweise mannshoch. Viele Agaven haben Blüten in den unterschiedlichsten Zuständen, sie ragen bis zu 4 Meter in den Himmel. Der Boden ist hier im Wald noch nass von der Nacht, deshalb auch kein Staub. Dieser Wald ist Naturreservat, von Europäern gepflanzt und geschützt. Man kann noch die Hütten sehen, die früher an Wanderer vermietet wurden. So unbelebt sehen sie aus wie die unzähligen „Jausenstationen“ an österreichischen Hängen im Sommer. Unwirklich. Das ist Haiti?
An einer umwerfend idyllischen Stelle steigen wir aus und vertreten uns ein wenig die Beine, was auch dringend notwendig ist nach dieser Fahrt. Der Fotoapparat läuft heiß. Dann treffen wir auf eine Ansiedlung, mitten in der Landschaft, ohne einen Kontakt zu irgendwelchen anderen Siedlungen. Auch hier das gewohnte Bild des Marktes: Alles kann man hier haben, nicht nur Telefonkarten, sogar einen Stand mit Barbancourt-Rum sehen wir. Direkt daneben kaufen wir endlich etwas zum Frühstücken ein: Teigtaschen mit Fisch (für mich morgens leider völlig indiskutabel! Genauso wie das fette Fleisch, das sich Guivens kauft) und frittierte Süßkartoffeln, von denen ich mich also ernähre. Leider keine Bananen, aber wo sollen die hier oben auch gedeihen und die Globalisierung hat hier noch nicht stattgefunden. Ein paar hundert Meter weiter steht ein LKW aufgebockt und wird repariert – ihn werden wir auf der Rückfahrt noch genauer betrachten. Dann erreichen wir den Pass und ein wundervoller Blick auf Felder, einzelne Hütten, noch ein paar kleinere Berge und auf das Meer bietet sich uns. Jetzt kann es auch nicht mehr weit bis Thiotte sein, und schließlich erreichen wir die Stadt nach vier Stunden Fast-Offroad über 61 km. Thiotte ist wirklich klein, leistet sich aber etwa 50 Meter betonierte Straße. Die eine Fahrbahn ist bereits fertig, dennoch können wir nicht weiter, denn auf dem Asphalt haben die Anwohner große Flächen mit Kaffeebohnen ausgelegt. Die andere Fahrbahn ist bereits zum Betonieren ausgehoben und das bedeutet einen Absatz von einer Höhe, die selbst für unseren Kummer gewohnten Allrad-Pick-Up unüberwindlich ist. Die Anwohner winken uns fröhlich zu und erst nach und nach verstehen wir, dass sie uns damit auffordern wollen, doch bitte gerne über die Kaffeebohnen zu fahren! Als wir uns später über Fußgänger wundern, denen der Umweg über den tiefer gelegenen Aushub keine Umstände machen würde, die aber forschen Schrittes über die Kaffeebohnenflächen laufen, erfahren wir, dass wir durch den Druck auf die Kaffeebohnen das Entfernen der Schalen vereinfachen! Wenn zuhause mein Fairtrade-Kaffee mal nach Gummi schmecken sollte, weiß ich zumindest, warum! In der Ortschaft nehmen wir noch zwei Männer auf, die uns zum Grundstück bringen, das zum Verkauf steht. Es ist nur 10 km entfernt, für die wir allerdings qualvolle 60 min brauchen! Das Grundstück entspricht vielen unserer Vorstellungen; es ist flach, hat gute Erde und einen großen Baumbestand, Wasser ist durch eine Brunnenbohrung sicher zu gewinnen. Und bei einer Größe von 29 careaux, also etwa 375.000 m² wäre das sicher ein guter Beginn, für die Aufforstung Haitis zu sorgen. Aber wir könnten natürlich auch einen Teil davon erwerben. An der äußersten Ecke des Grundstücks wird uns eine ältere Dame vorgestellt, sie ist die Großmutter von Guivens.
Die Bewohner und Besitzer, die wir auf dem Grundstück auch noch treffen, haben bereits den Notar und alle Unterlagen mitgebracht, aber der Weg (nicht nur zur Bank) scheint uns dann doch ein wenig zu beschwerlich. Roswitha erklärt den enttäuschten Bewohnern, dass wir dieses Grundstück schätzen, aber mit unseren Besichtigungen noch lange nicht am Ende sind. Erst das Bild von dem heiratswilligen Mann, der auch erst eine Reihe von Frauen küsst, bis er sich schließlich für eine entscheidet, leuchtet den Anwohnern ein und stimmt sie versöhnlich. Aber weil auch hier die Armut so unvorstellbar groß ist, kehren wir dem Grundstück nur mit schlechtem Gewissen den Rücken zu. Über Jacmel zu fahren erscheint uns nicht mehr sinnvoll, da wir erfahren mussten, dass der Weg durch die Berge noch nicht einmal mit einem Motorrad möglich ist.
Wir entscheiden uns, kein Mittagessen zu uns zu nehmen und sofort nach Hause zu fahren. Also keine Übernachtung in Thiotte (ich kann mir auch nicht so recht vorstellen, wo). Bei unserer Entscheidung gegen das Mittagessen haben wir allerdings (um im Bild zu bleiben) die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Guivens legt ein vehementes Veto ein und erkundigt sich in einem zunächst sehr unwirtlich aussehenden Haus, auf dessen Veranda ein paar Tische den Eindruck erwecken wollen, man könne sich hier hinsetzen und gegebenenfalls etwas zu sich nehmen, wie schnell das Essen zubereitet werden könne. Die von Roswitha als Maximum vorgegebenen 10 Minuten werden uns versprochen. Und eingehalten! Wir setzen uns (Barbara und ich sehr skeptisch, Roswitha hingegen mit Abenteuerlust in den Augen, Guivens triumphierend!) an den staubüberzogenen Tisch und harren der Dinge, die auf uns zukommen wollen. Es ist mit das beste Essen, was wir bislang in Haiti und drumherum auf dieser Erde bekommen haben! Ziegenfleisch, frittierte Bananen, schwarzer Reis (Djon-Djon, der mit dem Sud der ansonsten giftigen Pilze!) mit einer sehr würzigen Soße, das berühmte, teuflisch scharfe Kraut „Pickles“ in einer zarteren Version, und alles derart schmackhaft, dass wir uns nur noch auf den Moment freuen können, wenn dieser Koch irgendwann einmal wieder unseren Weg kreuzt. Was allerdings ziemlich unwahrscheinlich ist, denn bei dieser Anfahrt ist das Grundstück für unser Projekt nicht denkbar.

Auf der Rückfahrt können wir nicht umhin, Guivens wieder und wieder unsere Anerkennung darüber auszusprechen, dass er sich mit seinem Wunsch nach einem Essen durchgesetzt hat. Wieder genießen wir die Eindrücke dieser Fahrt, auch wenn der Rücken und Körperteile, die ein wenig tiefer liegen, über diese Fahrt nicht ergötzt sind. Zudem ist es jetzt etwas bewölkt. Der LKW, den wir schon auf der Hinfahrt gesehen haben, wird noch immer repariert, daneben – mitten im Wald – haben die 4 Begleiter ein hoch loderndes Feuer mit einem LKW-Reifen entzündet. In dem trockenen Holz der absolute Wahnsinn, die Luft ist von dem brennenden Gummi ohnehin verpestet. Wir halten an und fragen, der LKW wird hier schon seit 2 Tagen repariert, die kaputte Hinterachse ist ausgebaut und liegt ein paar Meter entfernt. Der Einbau der neuen (gebrauchten) dauert wohl noch ein paar Tage. Letzte Nacht sei es sehr kalt gewesen, deshalb das Feuer! Ein paar Fotos und verteilte Lutscher später, beides unter freudiger Anteilnahme der Männer, fahren wir weiter. Wie schon auf dem Hinweg fällt uns wieder auf, wie schrecklich versaut die gesamte Fläche des Dorfes bis weit in den Wald hinein mit Müll ist. Der Waldboden ist regelrecht bedeckt mit jeder Form von Unrat: Plastikverpackungen, verrostete Metallteile, Papier und Pappe, zerrissene Kleidung. Dazwischen Schweine, Hühner, Kinder.Kurz bevor wir die Straße zwischen PaP und der Dominikanischen Republik erreichen (also lange nachdem wir Thiotte verlassen haben) sehen wir eine besondere Erscheinung in dem kleineren der beiden Seen: Kurz vor dem Erdbeben war hier der Grundwasserspiegel stark angestiegen und hat viele Hütten bis zum Dach überschwemmt. Die Hüttendächer sollen immer noch zu sehen sein, allerdings nicht von uns. Die im Wasser stehenden Palmen aber sind sehr auffällig und sehen extrem eigenartig aus. Dasselbe Phänomen hat es übrigens auch auf der anderen Seite Haitis gegeben, dort entstanden Seen wieder, die schon lange ausgetrocknet waren. Guivens wegbringen, im Hotel schon mal eine Nacht früher als reserviert ankommen, die arme Roswitha (die jetzt noch eine Weile fahren muss) verabschieden, duschen, ein Bier und ins Bett fallen…
Für heute ist’s genug – und von heute erzähle ich morgen…Grüße von uns allen! Andreas

Mittwoch, 27. März 2013

Samstag/Sonntag

Patenschaften
Der Samstag steht ganz im Zeichen der Patenkinder in PaP. Bereits gegen 08:00 lagern sie im Innenhof des Henfrasa, längst nicht alle, aber wir wollen ja den ganzen Tag die Schecks für das Schulgeld verteilen, die mangelnden Papiere einklagen und ab und zu Fotos machen. Roswitha und Barbara sind also beschäftigt, ich muss den klappernden Leihwagen zurück zu Avis bringen. Dort untersucht man ihn, stellt schon nach einer Stunde fest, dass man ihn in der Werkstatt behalten muss und bietet mir stattdessen einen Neuwagen an – nur halt ein wenig zu klein für uns! Es ist zwar auch ein „Four-Wheel-Drive“, aber dass er überhaupt 4 Räder braucht, ist bei dieser Größe schon überraschend. Ich denke an Roswithas Hartnäckigkeit und bestehe auf einem Pick-Up. Nachdem ich nach längerem Gespräch mit dem Kleinwagen einverstanden bin (bekanntlich gibt ja der Klügere nach), eröffnet er mir, dass er doch noch einen Pick-Up habe – der natürlich erst gewaschen werden müsse. Bereits nach insgesamt 3 Stunden kann ich Avis wieder verlassen. Noch fährt der Wagen ganz prima…

Grundstückvermessung im Bananenhain
Nachmittags fahre ich mit Guivens nach Bellanger, um mich dort mit dem Pater und dem Verwalter des Grundstücks zu treffen. Wir wollen das Grundstück ausmessen, die Streitigkeiten um die Mangobäume beseitigen (möglichst ohne die Bäume selbst zu beseitigen) und abtrassieren. Die Einigung ist für uns Grundlage für einen dringend notwendigen Weiterbau. Endlich! Alles ist vermessen und festgelegt, die Lösung ist für uns und den Verwalter befriedigend, ich fertige schnell noch einen zweiten Plan mit den Maßen an und überreiche ihn dem Verwalter. Doch dieser meint, er brauche ihn nicht, schließlich habe er doch den alten, offiziellen Plan zu Hause!
Eigentlich fürchte ich, zu spät zurück zu kommen, aber Roswitha und Barbara arbeiten nach wie vor an den Patenschaften.
Erst gegen 20:30 können wir hier die Zelte abbrechen und zurück in unsere Unterkünfte fahren. Als wir im Walls ankommen, wird gerade das Abendessen weggeräumt – eine Minute später, und wir hätten hungrig ins Bett fallen müssen.
Sonntagmorgen, 24.03.: Kein Ausschlafen, obwohl erstaunlicherweise die Bauarbeiter seit Samstagabend die Kellen (und vor allem die Hämmer) ruhen lassen. Man erinnere sich: Sie legen sonst lediglich zwischen 05:00 und 06:00 eine kurze Pause ein! Doch Roswitha fährt mit uns in die Seeds-Schule, weil dort sonntags Gottesdienst einer lutheranisch orientierten Kirche stattfindet. Die Schule liegt in einem Bezirk mit wohlhabenden Bewohnern, wird aber vor allem von den Schüler besucht, die dazwischen leben: Am Straßenrand, in Niederungen, die bei starken Regen schon einmal überschwemmt sind, und an den besonders steilen Abhängen der Umgebung. Auch der Gottesdienst wurde ausschließlich von diesen Leuten besucht. Man kann sich darunter sehr gut die Marktfrauen vorstellen, die Kinder, die an Straßenkreuzungen Scheiben putzen wollen. Männer sind kaum da, und wenn, dann sind sie in irgendeiner Weise an der Zeremonie beteiligt.
Man fühlt sich geehrt, dass wir dabei sind, wir müssen vorne sitzen. Es fällt uns zunächst schwer, mit zu klatschen, mit dem Fuß zu wippen oder wenigstens zu lachen. Doch die Konzentration, die Leichtigkeit, die unvermittelte Teilnahme der Gottesdienstbesucher reißt uns auch mit. Für uns mögen die Gesänge gewöhnungsbedürftig sein, auch die die völlig losgelöste und hemmungslose Hingabe, mit der gesungen, gebeten, Halleluja!gerufen wird. Aber sie ist echt. Sie ist unmittelbar und überzeugend. Da mag unsere Kant’sche Aufgeklärtheit (begriffen und verinnerlicht haben ihn sowieso maximal 10% von uns, vor allem, was die öffentliche Vernunft betrifft) noch so warnen oder auf Kritikfähigkeit (vor allem gegenüber anderen) pochen, was dort geschieht, was äußerlich sogar Ähnlichkeit zu der von uns so gerne als primitiv belächelten Voodoo-Ergriffenheit hat, ist von uns nicht bewertbar. Wer sind wir, dass wir glauben, uns in unserem Urteil über Leute erheben zu können, von denen wir noch nichts begriffen haben? Uns wurde von einfachen Menschen gesagt, die Hilfe nach dem Erdbeben sei bei ihnen nicht angekommen, nicht einmal die Kirchen habe man ihnen wieder aufgebaut. Diese Aussage zeigt doch, wie wichtig ihnen Gott, der Glaube und die Religion ist. Und während ihres Singens, des Klatschens und der Halleluja, Grace à Dieu oder Meci Dieu-Rufe gestalten sie ihr Leben, tanken sie die Gewissheit, dass es in ihrem Leben Wichtiges gibt, dass sie auf dieser Erde gewünscht und gewollt sind, auch wenn ihre Realität das kaum vermuten lässt.
Wenn wir auf dem Land ein Projekt einrichten, wenn wir uns der Akzeptanz, sogar des Schutzes der Nachbarn versichern wollen, wenn das, was wir errichten, eine Sache der Bewohner der Region werden soll, dann dürfen wir diesen Aspekt nicht unbeachtet lassen, auch wenn wir uns als Verein politisch und weltanschaulich neutral zeigen wollen.
(Das ist übrigens meine Privatmeinung, die nicht mit dem Rest des Vorstands abgesprochen ist – die Zeit haben wir leider gar nicht!)Der am Samstag getauschte Wagen war für unsere Vorstellungen Schrott, auch wenn er vermutlich in den Straßen von Port-au-Prince als neuwertig durchgehen würde: Getriebe und Kupplung defekt, Zentralverriegelung und Türöffner nicht funktionsfähig, Lagerschäden an der Vorderachse und kaputte Bremsen. 98.000 km in Haiti lassen ein Auto natürlich schneller altern, aber für uns, die wir noch aufs Land fahren wollen, nicht akzeptabel. Also fuhren erneut zu Avis, um den Wagen zu tauschen. Eigenartigerweise war der vorherige Wagen, der bis Montagabend repariert sein sollte, bereits fertig.
Nach vielleicht 90 min Wartezeit auf einen gewaschenen Wagen (man hat sich wohl sehr viel Mühe gegeben) fahren wir kurz noch zum „Maison des Anges“, dem Waisenhaus von Gladys. Gelegen in einer bevorzugten Wohngegend wurde das Haus mit hohem finanziellem Aufwand vor allem aus Frankreich, aber auch von deutschen Adoptionsvermittlern ausgebaut. Es hat technisch wie funktional einen hohen Stand, allein drei Industriewaschmaschinen stehen zur Verfügung. Auf einem zweistöckigen Turm sind 2 Wasserbehälter und sorgen dort oben für den notwendigen Wasserdruck. Solarzellen auf dem Dach liefern die elektrische Energie. Dieses Haus ist ein echter Lichtblick. Sogar die Außenwand der Umfriedung wurde im Sinne Nicki de St.Phalles mit Spiegeln und bunten Fliesen ornamental gestaltet. Leider ist Gladys nicht zu Hause, wir können aber mit dort untergebrachten Adoptiveltern sprechen, die bereit sind, für uns einige (viele) Papiere des Ti-Moun-Projektes mit nach Deutschland zu nehmen. Auch wenn das Grundstück ziemlich begrenzt ist, sind wir beeindruckt von dieser Einrichtung: Essensduft liegt in der Luft, Kinderlachen, ganz offensichtlich wieder eine von den Sachen, die hier gut funktionieren. Nächste Station ist Henfrasa, wo wir ab 14:00 wieder Patenkinder registrieren und mit ihren Schecks beglücken. Es ist heute bedeckt und schwül-warm, aber laut Internet sind in Deutschland Temperaturen bis zu -8°, das versöhnt mit der leicht verschwitzten Haut hier…

Liebes Deutschland, halte aus, es wird auch wieder Frühling. Früher oder später!
Andreas

Hallo, was für ein Tag

Wir sind denke ich, schon relativ nahe an den Grenzen unserer Belastbarkeit – auch körperlich.
Aufstehen 4 Uhr – Barbara und Andreas  abholen 5 Uhr 30 (ich brauch ca. 45 Minuten) – klappt wunderbar – an zwei Tankstellen keinen Diesel, an der dritten alles super – Treffen um 6 Uhr Guivens – ist noch bis ca. 6 Uhr 30 dunkel – ekelhaft zum Fahren – 8 Stunden off road brutal – Schnitt 14 km/Stunde – Conny Seguin ist nix…..- schau Dir mal die Karte an – als wir in Thiotte fragten, ob die Achse nun über Jacmel möglich sei, erklärt uns der Mann vor Ort, nicht mal mit dem Motorrad sei es möglich!!!! – also wieder gleiche Strecke retour – kommen vor Dunkelheit in Port au Prince an – Andreas und Barbara finden ein anderes Hotel, da Walls voll ist – das ganze Viertel von Walls, neues Hotel – alle Straßen katastrophal, teilweise gesperrt, da wohl repariert werden soll – ich mache den Fehler nicht wieder den Umweg über die Flughafen Straße zu fahren, sondern hänge mich an die Stoßstange von einem in der Hoffnung kennt sich aus – wohl doch nicht, alles eng, dunkel, unfertige Häuser, keine Straßenbeleuchtungen, nur Staub in der Luft, Menschen die rumsitzen, so eng, dass ich immer Angst habe wen oder was anzufahren - ich kurve hin und her, denke so könnte es sein, Alptraum, genauso wie man es ja nie machen soll – ein Schlagloch am anderen, wie komme ich jemals aus diesem Labyrinth – nach mindestens einer halben Stunde eine etwas breitere Straße, aber ich habe keine Ahnung wo ich bin, aber einfach raus – ich komme dann endlich auf die Flughafenstrasse, aber so weit von dem Hotel weg, dass ich es nicht glauben kann, dass ich so die Orientierung verloren habe – schlage mich durch Richtung Delmas, ein Stau Chaos – fahre bei Rot in einem grausigem Stau über die Ampel - die Polizei stoppt mich – großes Blabala, die Geschichte vom … - die denken wohl, was machen wir mit dieser verstaubten, verdreckten Alten – darf weiter fahren – endlich um 8 Uhr 30 in Petionville – finde einen offenen Supermarkt – kaufe einen sixpack Prestige Bier und lass mir gleich eine Flasche aufmachen – man schaut verwundert und lächelt wissend – nein, bin noch keine Alkoholikerin geworden, egal was die denken – schreibe auf dem Bett – muss wohl duschen – denke an Euch, wäre auch gerne im Sauwetter.
Tschau
Roswitha

Dienstag, 26. März 2013

Plateau Central 3.

Barbara und Kinder in Maissade
Mühlenneubau
Wir waren am Donnerstag ja auch noch zu der Mühle in Maissade unterwegs – die Mühlenanlage besteht aus der Maniokmühle selber und einer Bäckerei, die daraus die Cassavebrote für die Schulspeisung backt. Besonders die Mühle war in die Jahre gekommen und mittlerweile von der Produktionsanlage her völlig unzureichend für die steigende Anzahl von Schulspeisungen, die vom BND finanziert an die Schulen der Region ausgegeben werden. Wir finanzieren der FAM den Neubau der Mühle und optimieren auch ein wenig die Bäckerei. Diese Mühle liegt inmitten des Anbaugebietes der Maniokpflanze, ist allerdings weit außerhalb Maissades, mindestens so weit wie Billiguy. Eine mehr als ärmliche Gegend, hier gibt es nicht mal die digicel-Verkaufsstellen! Kinder, die –wenn überhaupt – nur noch zerrissene T-Shirts (ich erkenne einige aus unserem Container wieder!) tragen und sofort zu der Mühle laufen, als sie uns ankommen sehen. Rötliche Haare sind das untrügliche Zeichen für ihre permanente Unterernährung.
Der Bau schreitet schnell voran, besonders imponiert haben mir als ehemaligem Baupraktikant die Putzarbeiten. Der Putzer hat nicht nur unvorstellbar glatte Oberflächen geschaffen, darüber hinaus auch wieder mit einfachsten Mitteln Übergänge, Ecken und Kanten gestaltet (anders kann man das nicht nennen) die absolut gerade, scharf gezogen und in Lot und Waage sind. Dabei verwendet er einfachstes Werkzeug: Nur einfache Bretter zum Verreiben, eine Pappe als Unterlage für den zu verarbeitenden Putz, eine Schaufel zum Anrühren des Mörtels. Und als einziger Luxus eine „Münchner Kelle“. Ich weiß, ich langweile, aber hätte ich ein Baugeschäft, er wäre längst abgeworben.
Wir entschließen uns vor Ort, keinen Brunnen zu bohren. Die Arbeiter zeigen uns ihren Versuch der Brunnenbohrung (dabei wird ein Arbeiter in ein enges, von ihm selbst gebuddeltes und überhaupt nicht abgestütztes Loch hinabgelassen!), der Brunnen blieb trocken, obwohl das ehemals in das Loch heruntergelassene Rohr 12 bis 15 Meter Länge beträgt. Eigentlich kein Wunder, denn die Mühle steht auf einer Anhöhe, was der wundervolle Rundumblick beweist. So entscheiden wir uns für ein Wasserreservoir, unterirdisch, um das Wasser kühl zu halten. Die großen Dachflächen werden – untypisch – mit Regenrinnen versehen und mit einem Rohrsystem an die Zisterne angeschlossen, sie versprechen eine reiche Ausbeute an Wasser. Damit, wenn Sommer trocken ist und weil die Maniokwaschungen einen hohen Verbrauch bedeuten, genügend Wasservorrat vorhanden ist, sollte das Reservoir besonders groß ausgelegt sein.

Während wir fachsimpelnd um den Bau herumgehen, wird immer einer von uns von Kindern belagert. Auch wenn die in unserem Vorstand für die Zahnpflege der Kinder sich einsetzende Doris jetzt die Stirn in Falten legen mag: Wieder einmal wechseln einige Bonbons ihre Besitzer (und ihren Aggregatzustand). Faszinierend auch wieder, wie Kinder reagieren, wenn sie die gerade gemachten Fotos betrachten und sich wiedererkennen. Manche erst, nachdem sie von den anderen Kindern darauf aufmerksam gemacht werden. Großes Gelächter, Riesenfreude von Kindern, bei denen man derartige Reaktionen nicht erwarten könnte. Wer lacht schon fröhlich mit leerem Magen? Am Ende haben sie von Barbara Besitz ergriffen und lassen sie kaum noch weg, als wir im Wagen sitzen. Die Mühle können wir getrost den Arbeitern überlassen, aber von den Kindern fällt uns der Abschied richtig schwer. 

Andreas Meisig

 

Plateau Central 2.

 
Sonnenuntergang in Maissade
Eine Schule bei Maissade
TipyTap Handwashing


Heute Abend sind wir zurückgekommen aus Maissade, Billiguy, Hinche und so weiter. Aber längst keine Ruhe. Rob Padberg wird nämlich gleich als Honorarbotschafter in Haiti nach 35 Jahren verabschiedet. Natürlich ist Roswitha eingeladen und wir gleich mit. Also ab unter die Dusche und fein machen – so weit es halt geht, denn mit offiziellen Anlässen dieser Art hatten wir eigentlich nicht gerechnet.  Ein anderes Haiti, nicht mit dem zu vergleichen, welches wir vorher kennenlernen durften und ab morgen wieder intensiv genießen können.
Aber es gab ja noch drei Tage vorher, vollgestopft mit Erlebnissen und Erfahrungen: Ziemlich früh am Mittwoch– noch vor dem Frühstück und in der Dunkelheit, brachen wir Richtung Hinche auf. Da wir Guivens nicht gleich finden konnten, verspäteten wir uns doch wieder etwas und mussten unser „Frühstück“ (Bananen und haitianisches Brot) im Fahren einnehmen. Dabei wundervolle Aussichten in das Hinterland von PaP, eine Passstraße, von der EU finanziert und mit allem versehen, was eine Straße auch bei uns ausmacht: Nicht ein bloßes Asphaltband, sondern weit ausholend befestigt, mit Straßengräben und Kaskaden am Rand, damit bei heftigen Regenfällen das Erdreich drumherum geschützt ist. Mittlerweile säumen Holzhäuser und die unausweichlichen Verkaufsstände die Straße über weite Teile – na ja, wo hätten wir sonst auch das Frühstück hergenommen? Hinche ist in kleines Städtchen, aber mit einem „Flugplatz“: Einer geschotterten Landebahn ohne Beleuchtung, Tower oder Zaun. Immerhin! Weiter Richtung Maissade: Nur noch Schotterweg mit größeren Löchern, wir brauchen eine gute Stunde für wenige Kilometer. Maissade selber erstaunt uns mit seinen armen, aber gepflegten und heimelig wirkenden Hütten, alle Grundstücke säuberlich durch Kakteenhecken abgegrenzt. Irgendwie so ein bisschen wie eine Vorortsiedlung bei uns. Am Platz vor der Kirche dann das gefühlte Zentrum, wie immer: Einer scheint den anderen nur anzuschreien (was natürlich nur so wirkt) und, mehr als sonst, Handys und Simkartenverkäufe in jedem zweiten Häuschen. Wir finden Dank der Ortskenntnis Guivens‘ rasch zu Mme. Marilla, der Leiterin des „Frauenkombinats“ FAM (die unter anderem die Mühle betreiben, die von uns zur  Zeit erweitert wird). Da jetzt Ferien sind, sind die Frauen damit beschäftigt, aufgelaufene Arbeiten zu erledigen, wesentliche Fabrikationsräume haben zur Zeit auch kein Dach, weil die Ferien zur Sanierung verwendet werden. Auch hier sind unsere Ingenieure tätig, da sie augenscheinlich einen guten Ruf in der Gegend genießen. Kein Wunder, sagt uns doch Marilla, dass es nur zwei gute Schulen in der ganzen Gegend gäbe, eine davon unsere! Wir sind schon sehr gespannt darauf, schließlich kennen wir sie bislang nur von Bildern. Marilla ist die Power in Person. Selten habe ich eine lautere, freundlichere, agilere Person erlebt, und was sie in der Gegend erreicht hat (oder besser angestoßen, denn die Vereinigung wird natürlich von ebenfalls aktiven und offensichtlich sehr positiv denkenden Frauen getragen), kann sich nun wirklich sehen lassen.

Also führt uns nun der Weg in unsere Schule von Billiguy. Die Straße wird nicht besser, eher wird es zunehmend weniger Straße. Furten, Schlaglöcher, die bei uns tektonisch erfasst würden, immer wieder Karawanen von Eseln, die zu diversen Märkten geführt werden, aber auch einzelne, voll beladene Personen, die die unglaublich weite Strecke zwischen den Ortschaften mehrmals täglich gehen müssen. Wir werden später bei der Aufnahme der Patenkinder erfahren, dass hier offensichtlich alle Frauen „marchands“ sind, also mit ihren kümmerlichen Waren, die von ihren Ehemännern („cultivateur“) Tag für Tag auf einem der vielen Marktplätze stehen. Die Gegend wird einsamer, ärmer, aber auch schöner. Manche Stellen lassen vermuten, wie dicht noch vor Jahren der Urwald hier war, das Anlegen von Bananenplantagen und das Abholzen der majestätischen Mangobäume und Palmen haben nicht viel davon übrig gelassen. Traurig, aber verständlich: Die daraus gewonnene Holzkohle bleibt nun einmal die einzige verfügbare Energie, denn der Einsatz alternativer Energien wird bestenfalls von digicell, dem größten Telefonanbieter Haitis vorangetrieben. Tatsächlich haben die auch in dieser einsamen Gegend Solarstationen aufgebaut, damit die Handys aufgeladen und die Simkarten möglichst schnell abtelefoniert werden können! Auch hier erschreckend kurios: Ein Handy hat fast jeder, offensichtlich eher als eine Zahnbürste.
Schon von weitem ist der gelb-grüne Bau unserer Schule zu sehen, und obwohl die Umfriedung noch lange nicht das Grundstück verlässlich umschließt, empfängt uns ein großes Tor. Herzlich werden wir begrüßt, Fast alle Schüler haben sich eingefunden, die Lehrer sowieso und natürlich der Schulleiter. Und einige Anwohner dazu. Auffällig ist mir, dass der schönste Platz auf dem Gelände, unter einem Baum im Schatten, mit Bauschutt zugestellt ist. Erst später wird mir klar, dass diese Steine, Bretter, Metallskelette als notdürftige Sitzgelegenheiten dienen. Aber hübsch (und bequem) ist das nicht.
Leider müssen wir Risse, einige sogar erheblich, am Gebäude feststellen. Besonders am südlichen Ende entstanden sie, weil das Gelände aufgeschüttet wurde und das schwere Gerät fehlte, um den Untergrund dauerhaft zu versiegeln. Die Länge des Gebäudes und die Schwere des Wasserreservoirs unter dem südlichen Teil tat das Übrige, um das Absacken des Gebäudeteils zu erreichen. Auch weitere Risse an anderen Gebäudeteilen sind zu erkennen, allerdings eher auf die schnelle Austrocknung des Betons zurückzuführen. Da die Betonteile aber üppig mit Armierung versehen sind, können wir zunächst noch beobachten, wie sich die Mängel entwickeln, um dann früh genug mit Baumaßnahmen entgegenzuwirken. Wir schauen in die Klassenräume. Luftig, regelrecht kühl und groß. Diese Räume laden wirklich zum Verweilen und Lernen ein. Besonders groß wirken sie, weil sich die Schüler auf wenigen, vorsintflutlichen Möbeln stapeln. Denn leider sind die von uns schon seit längerer Zeit bestellten Schulmöbel noch immer nicht fertig. Liefertermin soll Ende April sein, dann ist auch dieser Missstand behoben. Auch hier beschäftigen wir einen Tischler aus der Region, der offensichtlich von der Größe dieses Projektes (und anderer Aufträge, denn in der ganzen Gegend tut sich viel!) überfordert ist.
Unser Pick-Up war ja bis weit über die Ladekante beladen, alles Geschenke für die Schule, zu einem großen Teil noch aus dem Container von vor einem Jahr. Jetzt, wo die Bälle, Taschen, Hefte, Stifte endlich sicher verwahrt werden können, händigen wir sie der Schule aus. Auch zwei Fußballtore (etwa 1,50 hoch und 2 Meter breit) können endlich ihrer Bestimmung dienen. Der Unterricht, den wir beobachten können (trotz der Ferien lassen sich die Schüler das gefallen!), gefällt uns erheblich besser als in Bellanger: Die Schüler müssen mehr selber leisten, es wird gesungen und viel gelacht. Die für unseren Besuch eingeübten Lieder sind selbst gedichtet und werden in jedem der Klassenzimmer (offensichtlich mit anderen Strophen) wiederholt. Dann werden dort wieder einmal Süßigkeiten verteilt. Aber auch hier ein deutlicher Unterschied zu Bellanger: Es sind Mülleimer aufgestellt und die Schülerinnen und Schüler werden dazu aufgefordert, ihre Bonbonpapiere dort hineinzuwerfen. Sie sehen das vermutlich als lustigen Sport an, denn die Notwendigkeit ist ja für sie nicht nachzuvollziehen, aber es fruchtet!
Langsam leert sich die Schule, für den kommenden Vormittag sind die Gespräche mit der Schulleitung und den Lehrern geplant. Zu den letzten Gesprächen gehört das mit der Frau des Pfarrers und Schulleiters in Maissade die, nachdem ihre eigenen drei Kinder groß sind, insgesamt 14 Waisenkinder aufgenommen hat und uns um Unterstützung bittet. Wir werden Sie übermorgen, vor unserer Abreise aus der Region, besuchen.
Zurück in Maissade, den Pick-Up voll mit pädagogischem Personal, nachdem sich auf dem Weg einer nach dem anderen verabschiedet hat, treffen wir wieder in der FAM ein. Man bittet uns – nach dem obligatorischen Händewaschen – in den Raum, in dem die Cassavebrote normalerweise verpackt werden, ins Hauptgebäude. Dort wartet ein großer Tisch auf uns, abgedeckt mit weißen Tüchern. Mit großer Geste werden die Tücher entfernt und – ein wundervoll gedeckter Tisch präsentiert sich uns. Genau richtig, denn der Hunger wurde langsam drängend. Leckere regionstypische Speise, wohlschmeckend und vor allem ausgewogen und den Hunger stillend: verschiedenste Salate, Grillot, Kochbananen, Yamwurzeln, Hühnchen, selbstverständlich auch der Reis mit Bohnen mit einer vorzüglichen, würzigen Sauce. Zum Nachtisch natürlich die Süßkartoffelspeise „Painpatate“, als „Absacker“ schließlich ein Cremasse (ein süßer, ziemlich alkoholhaltiger Cocktail).
Gut gesättigt treten wir die Rückfahrt nach Hinche an, denn dort werden wir in dieser Nacht unterkommen. Ein von Schwestern geführtes Projekt mit Schule, Krankenstation und einem Gästehaus, das vor allem Hilfsorganisationen günstig zur Verfügung steht. Die junge Frau, die für die Bewirtung zuständig ist, nimmt es mit der Zeit nicht so ernst – „komm ich heut nicht komm ich morgen“! Und so sind wir glücklich, schon vorher genügend gegessen zu haben. Aber sauber ist es und wir schlafen kurz, aber tief.
Wieder geht es nach Billiguy in unsere Schule, vorher holen wir einige Werkzeuge und Materialien, die wir zum Bau einer Händewaschstation benötigen. Bereits Tage zuvor haben wir Wasserkanister gesammelt und uns wieder und wieder eine einfache Konstruktion durch den Kopf gehen lassen, die den Kindern das Händewaschen ermöglichen soll, das in Zeiten der Cholera so immens wichtig geworden ist. Die von Roswitha im Internet entdeckte Version konnte so deutlich optimiert werden. In der Schule angekommen (zwischendurch ein paar Lehrer aufgesammelt) teilen wir uns in zwei Gruppen: Barbara und Roswitha führen das Gespräch mit den Lehrern, um über Wünsche, Anschaffungen, Fortführung der Bauarbeiten, die Gehälter und den pädagogischen Ansatz zu sprechen, Guivens und ich bauen die Station auf. In der prallen Sonne! Schon bald muss ich mir (wir haben ja noch eine ganze Menge vor) zur Begeisterung der Zuschauer, die sich mittlerweile eingefunden haben, das Hemd ausziehen. So viel weiße Haut ist einfach zu viel. (Nebenbei: nach den drei Stunden in der Sonne war sie auch nicht mehr weiß…). Besonders viel Anerkennung wird mir gezollt, als ich die Spitzhacke schwingend unter Beweis stellen kann, dass weiße Menschen nicht nur Fotoapparate und Notizblöcke tragen können und ansonsten in Kisten mit 4 Rädern leben. Ich weiß, das sind alles Vorurteile – aber die Reaktion meines Publikums lässt diesen Schluss zu.
Guivens gibt mir einige Lehren in der möglichen Verwendung von zu anderen Zwecken erfundener Werkzeuge, ich kann ihm ein paar Heimwerkertricks beibringen, die von ihm ebenfalls gerne kopiert werden. (Das Anmischen von Beton erinnert mich frappant an meine Zeit auf dem Bau vor über 45 Jahren! Heute wird der Mörtel ja nur noch fertig gemischt auf die Baustelle gebracht.) Gemeinsam, schweigend und nur wenige Worte austauschend können wir Hand in Hand arbeiten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Lehrer müssen sich alle zunächst die Hände waschen, um das Modell zu kontrollieren und sich in der Handhabung (nicht so ganz der rechte Begriff, schließlich hat es ja Fußpedale!) zu üben. Es funktioniert folgendermaßen: Über zwei Dreibeinen (aus Wasserrohren, Guivens hat als Mann vom Bau darauf bestanden, sie einzubetonieren) liegt ein weiteres Rohr, durch die Henkel von Wasser- oder Speiseölkanister gesteckt. Diese Kanister haben unterhalb des Deckels ein kleines Loch, über einen Strick am Deckel, der wiederum mit dem anderen Ende an einem Pedal endet, wird der Kanister vornüber gekippt, so dass aus dem kleinen Loch Wasser läuft. N’oublier pas: le savon! Die Seife hängt ebenfalls an Schnüren zwischen den Kanistern. Einfach, aber ausgesprochen wirkungsvoll und schnell aufgebaut. Und das beste: Nach getaner Arbeit können auch wir uns waschen!
Dann weiter zu einem noch spannenderen Termin: Ein Grundstück für ein mögliches Projekt. Es liegt unweit (5 km) von Maissade, allerdings auch nur über eine Schotterpiste zu erreichen. An einer öffentlichen Straße gelegen, zwei Mangobäume, etwa 10.000 m². Die Überraschung: Das war noch längst nicht alles: Ein längerer Marsch führt uns an der Grundstücksgrenze entlang, die sich weiter und weiter entlang eines verwinkelten, in unseren Augen riesiges Areal schlängelt.
Sehr beeindruckt verlassen wir das Gelände, mit Plänen, Zweifel und anderen Ideen im Kopf, die uns auch die Nacht über nicht verlassen werden.
Der letzte Tag: heute geht es zurück nach PaP. Vorher führt uns der Weg zum Pastor aus Maissade und seiner Familie. Wir sind sehr beeindruckt von der Sauberkeit und der Einfachheit in dem Haus, dem angenehmen Ton, den glücklichen Kindern, die liebevoll miteinander spielen, auch wenn sie nicht beobachtet werden. Die zum Pfarrhaus gehörende Schule ist geräumig, luftig, die zurückgelassenen Tafelbilder lassen auf ein hohes Niveau schließen. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass ein Engagement für dieses kleine Waisenhaus mehr als sinnvoll ist. Vielleicht finden wir ja jemanden, der diese Unterstützung im Ganzen übernehmen will. Es wäre ein wundervolles Projekt für einen Sponsor.
Ein weiterer Besuch auf dem zum Verkauf anstehenden Grundstück. Die Fahrt dorthin versuchen wir so weit zu protokollieren, dass wir das Grundstück über ein Satellitenbild wiederfinden können. Nochmals gehen wir um das Grundstück herum, versuchen auch die Größe zu erfassen. Eine wirklich wundervolle Grundbepflanzung könnte hier der Ansatz zu einer Wiederaufforstung dieses Areals sein. Viele unterschiedliche Pflanzen finden wir, in jeder Kategorie (Bäume, Büsche, Gräser) eine echte Vielfalt. Dann kommen die Eigentümer, die auf die Schnelle zusammengetrommelt wurden. Roswitha erläutert unsere Absichten, kennzeichnet die Chancen für die Kinder und damit alle anderen Bewohner. Dass wir von Mariella kommen, ist für die Besitzer – eine Art Erbengemeinschaft  von großer Bedeutung, es ist wenig Ablehnung zu spüren, man hört geduldig zu und stellt sinnvolle, nachvollziehbare Fragen. Der Pferdefuß: Das Grundstück direkt an der Straße steht nicht zum Verkauf. Man will uns zunächst ein Wegerecht einräumen (was auch kündbar ist, dann kämen wir legal gar nicht mehr auf das Grundstück), später bietet man uns vom bestehenden Straßengrundstück einen Teil an, der der Breite eine Zufahrtsstraße entspräche. Das ist eine diskutable alternative, auch wenn wir innerlich das unverkäufliche Grundstück längst bebaut hatten…
Die Lage, Größe, der Zustand und der Preis sprechen eindeutig für den Kauf, auch wenn es immer noch eine gute Stunde Fahrt von Hinche entfernt ist, und Hinche auf der Mitte zwischen PaP und Cap Haitien liegt – also auch nicht so schnell (wenn auch komfortabel) zu erreichen ist. In den nächsten Tagen stehen aber noch drei Grundstücke auf unserem Besichtigungsplan, mal sehen, was kommt!
Die Fahrt zurück, bananenessend und über die wirklich großartige Gegend staunend, ist besonders ab Ortseingang Port-au-Prince nervig, zeitlich gesehen sind diese letzten Kilometer der absolut überwiegende Teil der Rückreise. Den Staub, die Hektik, die Lautstärke sind wir schon gewohnt – die waren auch in Hinche und Maissade nur unwesentlich geringer.
Liebe Grüße in das kalte Deutschland! Andreas

Montag, 25. März 2013

Plateau Central 1.

Eingangstor zur Schule
Fahrt nach Billiguy

Wir waren zwei Tage in Billiguy und hier mein Teil des Berichtes, Andreas wird noch über anderes schreiben. Lt. Marilia ist unsere Schule, die zweite Einrichtung, die man in der gesamten Region als
Schule bezeichnen kann. Es ist vor einiger Zeit ein Lycee, finanziert von der Regierung fertig gestellt worden. Alles andere sind Hütten-, Zelteschulen.
Die erste Klasse haben wir für das Patenschaftsprogramm erfasst, und Andreas hat die Kinder nochmals einzeln fotografiert.
Der Bau ist wie geplant in den 6 Schulklassen durchgeführt. Das 7. Zimmer ist das Direktorenzimmer, darunter ist das Wasserreservoir. Das Wasser wird mit einem Eimer entnommen. Das ist keine so richtig gute Lösung. Eine Idee wäre, nochmals ein kleines geschlossenes Reservoir daneben bauen, diese beiden mit einem Metallrohr und einem Schwimmer verbinden und auf das kleine eine Handpumpe setzen. Falls der Wasserspiegel so sinkt, dann kann man den Rest mit dem Eimer holen.
Müsste man nochmals durchdenken, was da optimal wäre.
Am Dienstag wollten wir ja eigentlich nur die Kartons hinbringen und gleich zur Baustelle Mühle fahren, aber als wir in Billiguy ankamen, hatten sie schon die Kinder und die Lehrer extra einbestellt und es gab so kleine Begrüßungsempfänge, bei denen wo man uns auch ein paar Lieder vorsang. Wir konnten also nicht gleich weiter. Eigentlich wollten wir den Kindern zeigen, was wir alles mitgebracht haben, war aber einfach nicht organisierbar. Am Donnerstag das Gespräch, was auch zwei Stunden später endete als geplant, war sicherlich recht gut.
Alle Lehrer bekamen eine Solarlampe und auch noch T-Shirts vom VFB Stuttgart. Die Stimmung war sehr gut. Wir machten Zusagen, dass wir das Toilettenproblem lösen.
Es muss auch die Stützmauer noch mit Abläufen für das Wasser versehen werden, ebenso mit Stützstreben um diese stabiler zu machen. Es muss noch mehr bepflanzt werden. Die Lohnzahlungen und die Modalitäten wurden abgesprochen.
D.h. ich muss erst ein Konto bei der Unibank eröffnen, Scheckhefte beantragen, was alles dauern wird. Bis dahin werde ich an Pater Colas einen Scheck geben.
Der Antrag für den Bau eines Vorschulgebäudes wurde besprochen. Momentan sitzen etwa 25 Kinder in einem Hangar. Ein Neubau wurde vorerst von den noch zu erfüllenden Bedingungen an die Lehrer, Eltern und Schulleitung abhängig gemacht. Wir hatten einige fruchtbare Gespräche mit allen Beteiligten und warten vorerst mal ab.
Aber für uns ganz wichtig war, dass die Lehrer und Kinder Hände waschen. Andreas und Guivens haben ein Tipytap dort gebaut. Aber auch, dass die Kinder lernen „Danke“ zu sagen, was keiner tat als wir die Sachen verteilten, ebenso dass nicht alles einfach weggeschmissen wird. Sprich das Verhalten sich hier ändern muss. In der Schule sahen wir, dass die Lehrer und Kinder einfach die Bonbonpapiere auf den Boden fallen ließen, bzw. warfen es durch die Maueröffnungen hinten raus.
Wir haben ihnen eine tolle Schule versprochen, sie haben uns Sauberkeit, Bepflanzung versprochen, das müssen sie nun erfüllen, bevor wir die Vorschule bauen. Noch dazu ist kein direkter Zugzwang, es gibt die 2 tollen Bäume wo die Kinder drunter sitzen können und bis letztes Jahr lernten und lehrten alle unter ganz grausigen Verhältnissen.
Die Nachricht kam klar rüber.
Der Landwirtschaftslehrer und die Handarbeitslehrerin benötigen noch Material und Werkzeug, was wir direkt vor Ort zu einem Drittel bewilligten und bezahlten. Die Quittungen werden eingereicht. Ich werde versuchen noch Wolle, Häkelnadeln und Stickmaterial in Port au Prince zu bekommen. Außerdem haben die Kinder fast keine Bücher. Wir werden wohl für jede Klasse einen Satz Bücher und Einschlagfolie finanzieren.
Euch tschau, sobald ich mal wieder Luft habe gibt’s  mehr, aber momentan jagen wir leider nur so, von früh morgens bis ich tot ins Bett falle, durch den Tag.
Roswitha

 

Samstag, 23. März 2013

Besuch in Billiguy

Am vergangenen Samstag hatten unsere Schule in Billiguy und die Bäckerei in Maissade Besuch aus USA. Der ehemalige Präsident Bill Clinton besuchte Billiguy und Maissade zusammen mit den Verantwortlichen von BND auf der Fahrt in den Norden. Clintons Fondation unterstützt dort ein ähnliches (jedoch weit umfangreicheres als unseres) Schulspeisungsprojekt. Nach der Besichtigung der aktuellen Baustelle in Maissade besuchte er außerdem unsere Schule in Billiguy.
Cornelia Rébert-Graumann

Donnerstag, 21. März 2013

Dienstag 19.3.


Leider kamen wir heute zwar früh weg, mussten aber noch einmal nach San Marc fahren, weil Guivens im Eifer des vergangenen Tages das Handy in San Marc vergessen hatte. Liebenswerterweise kam uns Jean Pierre im wahrsten Sinne des Wortes entgegen, als er das Handy bis zum Ortseingang brachte. So blieb uns der übliche Stop-and-Go-Verkehr erspart. Die Fahrt führte uns zunächst nach Cabaret, wo uns Pater Gilbert zögerlich empfing. Der erste Eindruck war nicht überzeugend. Verstummende Angestellte, eine fast tote Stimmung im Haus, nicht einmal das Angebot eines Glases Wasser. Das Gespräch verlief sehr sachlich und ohne Höflichkeitsfloskeln zielgerichtet. Wir konnten uns über alle unsere Probleme austauschen, die mangelhafte Kommunikation ansprechen; und auch die Frage des Auszahlungsmodus an die Lehrer, bei der wir Unverständnis erwartet hätten, konnten wir zügig zu Gunsten unserer Vorstellungen klären. Immer noch kein Glas Wasser, aber die Toilette durften wir immerhin besuchen. Der Pater und sein Adjutant, der ebenfalls in Bellanger unterrichtet, fuhren dann mit nach Bellanger – mittlerweile in etwas freundlicherer Zuwendung zu uns.
In den Jahren hat sich in Bellanger viel getan, das Dschungeldorf ist zu einer Art Vorort von Cabaret hochgewachsen. Auch wenn noch immer die vielen Bananenplantagen neben den Mangobäumen vorherrschen, so gibt es doch mittlerweile kein Feld, in dem sich nicht eine Familie eine Behausung geschaffen hat. Wie überall werden auch hier die nach dem Erdbeben ausgeteilten blauen Folien als Wänden, Decken, Terrassenüberdach verwendet und geben so dem Land einen ungewohnten farblichen Akzent. Gerade ist Mangoernte, die Straßenränder gesäumt von den noch grünen Früchten, zu Haufen aufgeschichtet. Unsere Schule ist jetzt eine wirkliche Urwaldschule geworden: Der vom plötzlich nach dem Erdbeben aufgetauchten Grundstücksbesitzer gepflanzte Bananenhain reicht schon fast in die Klassenzimmer. Auch das wird ein Punkt am Nachmittag sein. Die Bänke sind bereits im Innenhof aufgestellt. Erstaunlich viele Kinder sind gekommen und begrüßen uns spontan und fröhlich. Wir nehmen hier alle Schüler neu auf, weil Bellanger vorher die Klassenpatenschaften darstellen sollte – die bekanntlich nicht so viel Anklang bei unseren Paten gefunden hatten. Eine Klasse nach der anderen wird abgefertigt, eine Klasse nach der anderen verlässt das Gelände, bis nur noch die Lehrer und leider auch ein Riesenberg von Bonbonpapier übrig bleiben. Das ist noch ein großes, unlösbares Problem, nämlich dass Verpackungen völlig achtlos genau dann und dort fallen gelassen werden, wenn sie ihren Dienst getan haben. Das ganze Land liegt voll und nun auch noch der Schulhof. Die Lehrer werden schließlich in die Toilettenproblematik eingeführt, was, den Gesichtern nach zu urteilen, von manchen nahezu wörtlich aufgefasst wird. Es bleibt ein Thema nahe am Rande des Tabus. Von unseren Biotoilettenvorschlägen, die teilweise bereits in Haiti erfolgreich angewendet werden, will keiner etwas wissen. Es scheint nicht vorstellbar zu sein, Behälter mit dem offensichtlich nicht Aussprechbaren zu entnehmen und zu entleeren. Aber ohne das gibt’s nun einmal keine biologisch sinnvolle Toilette. Das Gespräch wird jäh unterbrochen, als der Verwalter des Grundstücksbesitzers ankommt und zunächst Guivens, dann Roswithas Anwesenheit erforderlich macht. Barbara und ich versuchen mit den Lehrern zu diskutieren, inwieweit es nicht nur sinnvoll, sondern auch zwingend notwendig ist, mit Kindern zu singen oder anderweitig Musik zu machen. Wie könnte es anders sein: Die Lehrerkollegen sehen die Notwendigkeit durchaus, sich selbst aber nicht in der Lage, das zu leisten. Nicht einmal für ein kleines Lied am Anfang eines Tages ist die Bereitschaft da. Aber auch wir sehen uns genötigt, kurze Zeit später der gewichtigen Gruppe der Grundstücksbesprecher beizutreten.
Das wesentliche Ergebnis unserer Grundstücksbesprechung ist, dass wohl wenig Aussicht darauf besteht, das Grundstück so zu begradigen, dass eine optimale Nutzung möglich wird. Wir werden mit Einschränkungen leben müssen. Besonders bei diesem Gespräch erwies sich die Anwesenheit des Paters aber als hilfreich. Der Pfarrer, der Verwalter und Guivens werden sich also weiter um eine Einigung bemühen, wir wollen diese – egal welche – aber noch in diesem Jahr erreichen, um endlich mit unseren Plänen weiterzukommen.
Nachdem wir weiterhin von der Ablehnung der Lehrer gegen das Bioklo erfahren dürfen, kommt nun der schönere Teil des Tages: Die Lehrer hatten ja, da wir in Deutschland keine Informationen erhielten, seit Oktober keine Gehälter mehr bekommen. Jetzt also war der Tag der Abrechnung gekommen: Alle erhalten Schecks mit dem ausstehenden Lohn und noch dazu eine TiSoleil-Lampe von uns. Vermutlich haben sie so recht gar nicht begriffen, was ihnen da geschehen ist, denn der Dank ist sehr verhalten, besser gesagt sprachlos. Erst auf dem Weg zu 11 Personen in und auf dem Auto nach Cabaret wurden sie etwas beredsamer und verabschiedeten sich sehr freundschaftlich von uns.
Der Rückweg nach PaP zeigte dann einmal mehr, wie viel sich mittlerweile in Haiti seit dem Erdbeben getan hat: Die Zeltstädte („Cite bleu“ – wegen der blauen Planen, die nach dem Erdbeben wohl zu Millionen verteilt wurden) dünnen wirklich mehr und mehr aus, manche Sportplätze sind längst wieder bespielbar. Und nur ein Gebäude konnte ich von der Straße aus erkennen, das zusammengestürzt war: Aber das war eines der Grabhäuser auf einem Friedhof! Man kann da wirklich nichts Böses über die Haitianer sagen: Dieses Grossaufräumen muss eine organisatorische Meisterleistung gewesen sein.
Morgen früh werden wir schon um 05:30 von Roswitha abgeholt, um uns für zwei Tage auf das Hochplateau, also Richtung Billiguy und Maissade zu begeben.
Viele Grüße nach Deutschland und herzliches Beileid, wir wissen von eurem Wetter...
Andreas