Freitag, 24. September 2010

morgen: jahreshauptversammlung

Hier nochmal ein Aufruf für alle Kurzentschlossenen: Morgen findet ab 14 Uhr auf Burg Hoheneck bei Ipsheim in Mittelfranken die Jahreshauptversammlung der Haiti-Kinderhilfe statt. Wir freuen uns darauf, mit so vielen Mitgliedern und Interessenten wie möglich über die künftigen Projekte zu beraten.

Hoffentlich bis morgen,
liebe Grüße,
der Vorstand der Haiti-Kinderhilfe

Mittwoch, 22. September 2010

benefizfußball für haiti


Zugunsten der Haiti Kinderhilfe wird am 10. Oktober ab 13 Uhr ein Benefiz-Fußballspiel in Guldental ausgetragen. Als Ehrengast nimmt Thomas Tuchel, Trainer vom aktuellen Tabellenführer der Fußball-Bundesliga, 1. FC Mainz 05, teil. Noch immer brauchen die Erdbeben-Opfer in Haiti Hilfe. Auch wenn wir nicht mehr täglich neue Bilder aus der Katastrophenregion gezeigt bekommen, gibt es immer noch oder vielleicht sogar immer mehr Bedarf an Unterstützung. - Näheres über die Aktion, die im Rahmen von "Meet for Haiti" stattfindet, demnächst an dieser Stelle.

Dienstag, 21. September 2010

medizinische hilfe für restavek

Liebe FreundInnen Haitis,

meine jüngste Reise ist ja schon wieder um, allerdings habe ich die Zeitumstellung noch ebenso wenig verdaut wie meine teils schon sehr grausamen Eindrücke. Ich werde versuchen, in nächster Zeit noch einige Berichte über die ausstehenden Projekte zu verfassen, die die Haiti-Kinderhilfe zum Teil bereits finanziert, oder die ich besucht habe, um eine möglich Zusammenarbeit vorzubereiten. Als erstes heute aber zur medizinischen Behandlung der Restavek-Kindersklaven:


Nachdem die hygienischen, versorgungstechnischen und klimatischen Bedingungen das Leben in den Zeltlagern sehr erschwert, hatte der Vorstand der Haiti-Kinderhilfe ja im Frühjahr beschlossen, sowohl im Krankenhaus "Notre Dame de Lourdes" ein kostenloses medizinisches Behandlungsprogramm für Kinder anzubieten (siehe Blogbeitrag vom 13. September) als auch für die überlebenden Restavek. Genau wie im Krankenhaus wird auch jede Konsultation der Kindersklaven durch Dr. Edouard Bontemps mit einer Pauschale von umgerechnet drei Euro beglichen. Hinzu kommen Ausgaben für Medikamente und in Einzelfällen auch Transportkosten, wenn die Kinder zu schwach sind, die teils kilometerlangen Wege durch Port-au-Prince zu Fuß zurückzulegen - immerhin eine Stadt in den Ausmaßen von Berlin.

Yolène, zehn Jahre alt, Anämie
Insgesamt hatte Dr. Bontemps bis zu meinem Besuch 209 Kinder behandelt. Damit die Fälle auch für uns dokumentiert werden, wurde er bei der Sprechstunde in seiner Praxis und bei den verschiedenen Haus- oder besser Ortsbesuchen immer von Guerline, einer Monitorin, begleitet, die für uns die Daten der Kinder, die zu ihren Lebensumständen, die Diagnose, die empfohlene Therapie und die ausgegebenen Medikamente erfasste. Guerline erklärte mir auch, wie Mouvman vin plis moun/MVM das Programm umsetzte. Demnach vereinbarten die Monitore, die in etwa so arbeiten wie hierzulande Streetworker, immer einen Sprechstundentermin, um mit einer ganzen Gruppe kranker Kinder zum Arzt zu gehen. Wegen zahlreicher Erdrutsche nach dem Einsetzen der heftigeren Regenfälle sei das Programm im Juli zeitweise unterbrochen gewesen. Die Wegverhältnisse seien in der Zeit unüberwindbare Hindernisse für die Kinder gewesen. Für die schwereren Erkrankungen seien deshalb damals mehr Hausbesuche erfolgt.

Janvier, elf Jahre alt, Ohreninfektion
 Jetzt seien die Straßenverhältnisse in Port-au-Prince wieder stabiler, und zugleich steige die Zahl der Erkrankten stetig an, weil sich in den Lagern immer mehr Infektionskrankheiten verbreiteten, die Kinder wegen der schlechten Ernährungslage schwächer würden, und viele Hilfsorganisationen ihre Projekte aufgegeben hätten. In einigen Vierteln gebe es überhaupt keine medizinische Versorgung mehr, sogar die Zeltkliniken seien mittlerweile fast alle wieder abgebaut. - Diese Aussage deckt sich leider mit denen von einigen Helfern und Journalisten, die ich in Haiti gesprochen habe, und auch mit meinen eigenen Erfahrungen; ich habe auf meinen vielen Wegen durch Port-au-Prince kaum noch ein Klinikzelt gesehen.

Pierre, elf Jahre alt, Zahnschmerzen, in Begleitung seiner Streetworkerinnen
 An dem Nachmittag, als ich die Sprechstunde besuchte, waren 27 Kinder im Wartezimmer. Sie alle klagten über Schwäche, Fieber, Durchfall,
Ohren-, Bauch- oder Kopfweh. Mich erstaunte, dass sie relativ unbeteiligt von ihren Symptomen sprachen - und nur auf sehr genaue Nachfrage. Guerline erklärte mir dann in einer ruhigeren Minute und etwas abseits vom Gedränge, dass Restavek nicht gerne über ihre Schmerzen redeten. Je anfälliger sie auf ihre Familien wirkten, umso größer werde die Gefahr, dass sie auf die Straße gesetzt würden. Und selbst wenn sie schlecht von ihren "Besitzern" behandelt würden, so wüssten sie dort, was sie erwarte, während das Leben auf der Straße noch gefährlicher sei. Sie habe Fälle von Mädchen gesehen, die aus Mangel an Hygiene Vaginalentzündungen hatten, dass sie kaum noch gehen konnten. Und obwohl die Säuberung der infizierten Stellen höllisch weh tue, keine Miene verzogen hätten. Die Kinder glaubten, sich keine Blöße geben zu dürfen. Damit sie nicht vollkommen verunsichert werden, würden sie auch von den Monitoren zum Arzt begleitet. Die kleine Gruppenreise verleihe dem unangenehmen Termin dann auch etwas Ausflugscharakter...

Shnaidine, 13 Jahre alt, Asthma
Dr. Bontemps nahm sich bei der Behandlung jedes einzelnen Kindes viel Zeit. Mit viel Respekt - und viel distanzierter als Dr. Laplanche im Krankenhaus "Notre Dame de Lourdes" - untersuchte er sie ganz genau. Die meisten schreckten vor zuviel Nähe zurück, erklärte er mir hinterher. Durch sein Verhalten wolle er ihnen signalisieren, dass jeder auch auf sie Rücksicht nehmen und ihre Individualdistanz achten sollte. Da sie das harte Leben eines erwachsenen Arbeiters führten, behandle er sie auch nicht wie "normale" Kinder. Er versuche, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, ihnen nicht nur Linderung zu verschaffen, sondern ihnen auch allgemeine Vorsorgemaßnahmen beizubringen. Ich hatte mich schon gewundert, warum er mit jedem Kind, egal ob es über Fieber oder Magenschmerzen klagte, ganz genau über die Hände gesprochen hatte. Mein Kreyol reichte jedoch nicht aus, um Einzelheiten zu verstehen. Es ist jedenfalls so, dass er zu jeder Behandlung ein kleines Hygiene-ABC unterrichtet, damit die Kinder öfters ihre Hände waschen und nicht mit dreckigen Händen immer wieder Infektionen an den Augen, im Mund und in der Folge im Magen- oder Darmtrakt verursachten.

Saint-Charles, zwölf Jahre alt, Fieber

Woodney, neun Jahre alt, Kopfweh
Ein häufiges Symptom der Kinder seien Kopfschmerzen, erklärte der Mediziner weiter. Aber Kinder hätten in der Regel keine Kopfschmerzen an sich. Heutzutage kämen zwar Traumata als Ursache der Schmerzen hinzu, meist seien es aber Infektionen an Augen, Ohren oder im Mund. Gerade die Zähne der Restavek seien oft nur faule Stümpfe. Durch den Vitaminmangel seien die Zähne ganz grundsätzlich schon angegriffen, die Zahnpflege falle höchst sporadisch aus, weil die Kinder meistens keine Zahnbürsten und schon gar keine Zahnpasta hätten, und dann erhielten sie oft nur Zuckerrohr als Nahrung. - Sie seien sogar sehr scharf darauf, weil hier auch kleinste Mengen satt machten, und auf den Fasern könne man sehr lange herumkauen. Für die Ernährung zwar hilfreich, auch eine Beschäftigung des Körpers bei Hunger, aber für die Zähne Gift. Er appellierte an die Haiti-Kinderhilfe, dringend das bereits beschlossene, aber wegen des Erdbebens auf Eis gelegte Zahnbehandlungsprogramm umzusetzen.














Kenlove, fünf Jahre alt, Krätze
Für etwa zehn Kinder suchen wir noch nach Behandlungsmöglichkeiten, die Dr. Bontemps nicht zur Verfügung stehen. So benötigt ein Junge dringend eine Knieoperation, auch zwei, drei andere bräuchten eine längerfristige stationäre Behandlung. Etwa zehn Kinder sollten an den Augen operiert werden. MVM sucht für all diese Einzelfälle noch Fonds, um diese Klinikaufenthalte bezahlen zu können. Ich habe den Kontakt zum Krankenhaus "Notre Dame de Lourdes" hergestellt, vielleicht können dort ja schon einige Behandlungen vorgenommen werden. Für die anderen fällt uns hoffentlich auch eine Lösung ein. Sollte sich der Andrang nicht allzu sehr erhöhen, reichen unsere bewilligten Mittel noch bis zum Jahresende. Dann müssen wir weiter sehen. Auf jeden Fall kann es nicht schaden, auch für diese wirklich dringend nötige, sinnvolle und humanitäre medizinische Hilfe Spenden zu sammeln.

Vielen Dank und liebe Grüße,
Stephan Krause

Samstag, 18. September 2010

hansi graf - musikfan mit herz

Könnt Ihr Euch noch an die Prominentenaktion Meet for Haiti erinnern? Da hatten sich Stars aus der Musik-, TV- und Sportszene zugunsten der Haiti-Kinderhilfe versteigern lassen. Einer der Höchstbietenden, der Gastronom Hansi Graf aus Stetten am kalten Markt, hatte den angebotenen Tag mit Marius Müller-Westernhagen inklusive eines Duetts während dessen Tournee ersteigert. Da er sich damit einen Lebenstraum erfüllt hatte und sein Glück mit den haitianischen Erdbebenopfern teilen wollte, hatte er spontan angekündigt, ein Fest zu organisieren, dessen Erlös ebenfalls an die Haiti-Kinderhilfe gehen sollte. Am 2. Oktober ist es so weit. Wenn Ihr Lust und Zeit habt, könnt Ihr ja daran teilnehmen. In den Medien wurde die Veranstaltung folgendermaßen angekündigt:

Rund acht Monate sind vergangen, seit am 12. Januar diesen Jahres eines der schrecklichsten Erdbeben des 21. Jahrhunderts den Inselstaat Haiti erschüttert hat. Zwar ist das Thema längst aus den Medien verschwunden, doch gibt es immer noch Organisationen und Menschen die helfen wollen. Einer von ihnen ist Lindenwirt Hansi Graf aus Stetten am kalten Markt. Bei einer Benefizveranstaltung in der Alemannenhalle sammelt er am 2. Oktober Spenden, die Kindern in Haiti zu Gute kommen. Sich einen Lebenstraum erfüllen und gleichzeitig noch etwas Gutes tun. Wer käme bei diesem Gedanken nicht ins Schwärmen. Für Lindenwirt Hansi Graf aus Stetten a.k.M. geht dieser Traum in Erfüllung: Gemeinsam mit seinem großen Idol Marius Müller-Westernhagen darf er am 10. Oktober in der Stuttgarter Schleyerhalle auf der Bühne stehen und mit diesem ein Duett singen. Und das vor sicherlich weit mehr als 10.000 Zuhörern. Außerdem wird der weit über die Grenzen von Stetten a.k.M. hinaus bekannte Gastronom den ganzen Tag über zur Band von Marius Müller-Westernhagen gehören und live miterleben, wie so ein Tourneetag hinter der Bühne abläuft. Ein Erlebnis, wie es für echte Fans kaum aufregender sein könnte.

Ersteigert hat er sich dieses unvergessliche Treffen mit dem Weltstar im Internet. „Klar hat das ein schönes Sümmchen gekostet“, räumt Hansi Graf schmunzelnd ein. „Aber für einen Lebenstraum war es alles andere als zuviel“, fiebert er dem Treffen schon seit Monaten entgegen. Wer ihn kennt weiß, dass diese Zusammenkunft für Hansi Graf ein absolutes Highlight ist. Seit mehr als 20 Jahren steht er auf Westernhagens Musik, kennt dessen Alben in- und auswendig und interpretiert die Songs mit eigener Stimme und Gitarre oft derart perfekt, dass man sie kaum vom Original unterscheiden kann. Selbst seinen kleinen Sohn hat er nach dem Namen seines Idols getauft: Marius!


Da wundert es kaum mehr, dass ihm das Treffen mit dem Star „au a bissle was wert war“, („Andere geben für eine Traumreise oft deutlich mehr aus.“), zumal hinter der ganzen Geschichte ja ausschließlich das Engagement für die notleidenden Menschen in Haiti steht: „Das Geld füllt ja nicht in die Taschen des Stars, sondern wird für den guten Zweck zur Verfügung gestellt." Und für diesen will der Lindenwirt noch eine ganze Menge mehr tun. Unter dem Motto: „Meet for Haiti“ hat er inzwischen eine große Spendenparty organisiert, die am Samstag, 2. Oktober, ab 19 Uhr in der Stettener Alemannenhalle steigt. Bei freiem Eintritt spielen dort zahlreiche Nachwuchs- und Jugendbands aus der gesamten Region. Gegen Abgabe einer Spende ist dabei für das leibliche Wohl bestens gesorgt. Den Erlös dieses Abends wird Hansi Graf in der Stuttgarter Schleyerhalle seinem Idol persönlich in die Hand drücken. Viele Stettener, Hansi- wie Westernhagen-Fans, werden da als Augenzeuge dabei sein. „Zwei Busse sind bereits gechartert“, lässt Hansi wissen. „Wer noch mit will kann sich bei mir melden; Eintrittskarten müssen allerdings selbst besorgt werden."

Donnerstag, 16. September 2010

es gärt schon was in port-au-prince

Liebe alle,


leider habe ich es nicht mehr geschafft, noch in Haiti meinen Biogasbericht zu schreiben und alle Bilder hochzuladen, es war einfach zu viel los. Deshalb nur ein Foto vom Aufbau - jenem Zeitpunkt innerhalb meiner Reise, als die Kommunikationsleitungen noch zuverlässiger funktioniert haben. Ehe ich jetzt gleich meine Rückreise antreten muss, möchte ich Euch aber heute wenigstens noch das Wichtigste dazu mitteilen: Die Pilotanlage ist fertig geworden, der Kuhmist ist erfolgreich nach Port-au-Prince "importiert" worden, und als ich am Dienstag das letzte Mal dort war, hat sich schon eine kleine Wölbung am oberen Fass herausgebildet, so dass der Gärprozess wie erwartet und erfolgreich begonnen hat!

Mehr demnächst an dieser Stelle, aber dann wieder aus Deutschland.
Liebe Grüße,
Stephan

Dienstag, 14. September 2010

bau der semences pour la vie-schule

Liebe alle,

heute hole ich mal etwas weiter aus. Nachdem der Vorstand sich für den Bau der Semences pour la vie (Samen für das Leben)-Schule in einem Armenviertel an der Delmas entschieden hatte, äußerten wichtige Partner in Haiti Kritik an dem Projekt. Es sei allzu einfach angelegt, es stehe kein großer Träger für den Betrieb zur Verfügung, und überhaupt fehle den Verantwortlichen das Konzept. Wie Ihr wisst, haben wir uns dennoch für die Baumaßnahme entschieden, weil sie direkt den Campbewohnern eines Viertels zugute kommt, die kaum eine andere Möglichkeit haben, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Bei diesem Projekt müssen die Schüler weder einen langen Schulweg zurücklegen (das Viertel liegt eher abseits der Verbindungsstraßen), noch soll Schulgeld erhoben werden. Auch sprachen einige andere Tatsachen für das Projekt: Etwa, dass schon früh ein Mietvertrag für das zuvor als Müllkippe verwendete Grundstück abgeschlossen werden konnte, für die leichten Holzanbauten keine Baugenehmigung nötig war, der Architekt, der auch "unser" Krankenhaus gebaut hatte, die Pläne zeichnete und den soliden Bau überwachte, und natürlich, dass die Verantwortlichen selbst die Risiken sahen und in vorsichtigen Schritten vorgehen wollten. Sie planten keinen Schulkomplex für das ganze Viertel, sondern ein Gebäude mit zwei Klassenzimmern, in dem die Kinder aus der unmittelbaren Nachbarschaft unterrichtet werden sollten. Es war also durchaus ein Konzept zunächst mit beschränktem Aufwand, aber auch eines, um schnell 50 Kindern Bildung anbieten zu können.


Und es ging auf. Die Bilder, dass die Überdachung bereits steht, haben wir ja bereits veröffentlicht (Blogbeitrag vom 2. August). Mittlerweile wurde weitergebaut, und mir gefällt das einfache Gebäude richtig gut. In dem
                                     bergigen Gebiet hat der Planer die
Hanglage ausgenutzt, so dass neben den zwei Zimmern auch ein kleiner Vorhof entstanden ist, auf dem die Kinder ihre Pausen verbringen können. Die Dachkonstruktion der Schule ist so luftig angelegt, dass auch in der brütendsten Hitze - und die herrschte bei meinem Besuch wahrhaftig - die Räume einigermaßen kühl bleiben. Ferner ist die Anlage nur von einer Seite aus zu erreichen. Da man erst mal durch die Nachbarschaft muss, die ihre Kinder dorthin schicken darf, ist automatisch ein Sicherheitssystem "installiert", das kaum übertroffen werden kann.


Bei meiner Besichtigung war zunächst nur eine Handvoll Kinder da. Das "Jubelkomitee" trug Schilder mit der Aufschrift "Merci Haiti-Kinderhinser" - ein klares Signal dafür, dass dringend mehr Unterricht nötig ist-, und die beiden Lehrer, ein Mann und eine Frau, waren recht nervös. Erst nach und nach trudelten etwa 40 Kinder mit ihren Eltern ein. Die Erwachsenen waren sehr angespannt und entschuldigten sich direkt nach der Begrüßung in sämtlichen denkbaren Formulierungen und Sprachvariationen dafür, dass sie keine Sonntagskleider für ihre Kinder haben. Es war unglaublich, vor allem da ich zuvor schon einige Dinge unternommen hatte und selbst nicht gerade geleckt aussah. Nach der anfänglichen Nervosität unterhielten wir uns alle aber sehr angeregt. Die Familien betonten, dass sie aus den Camps der Nachbarschaft stammten, aber schon vor dem Beben in kleinen teils gemauerten, teils aus Blech zusammengewürfelten Hütten gewohnt hätten. Jede und jeder, die ich gesprochen habe, hatte beim Beben einen nahen Verwandten verloren, und in den natürlich noch nicht beseitigten Trümmern ruhen wohl noch viele Opfer.


Die Menschen zeigten sich sehr dankbar und irre stolz, dass sie eine echte Schule in die Nachbarschaft kriegen. So könnten es ihre Kinder einmal besser haben, meinten sie übereinstimmend. Für sie selbst stehe außerdem eine der vier Latrinen bereit (deren Bau die Haiti-Kinderhilfe und Unicef gesponsert hatten), im Gegenzug hielten sie die Schule und die
                                                     Toilettenanlage sauber. Außerdem
versprachen sie jede ihnen mögliche Form der Kooperation. Sie würden alles tun, um ihren Kindern Schuluniformen kaufen zu können, betonten sie - ohne zu wissen, dass ich persönlich das Geld dafür lieber für Wichtigeres ausgeben würde. Aber natürlich wollten sie mir dadurch vermitteln, dass ihnen der Schulbesuch viel Wert ist, und sie sich nach der Decke streckten, um alles richtig zu machen. Ganz ungeschönt, es machte wirklich den Eindruck, dass es schon "ihre" Schule sei.


Noch während ich dort war gründeten die Leute ein Schulkomitee, dem zwei Eltern, die beiden Lehrer und ein Schüler angehörten. Sie legten sofort fest, wie die künftige grüneblauerotegelbe Schuluniform aussehen muss. Dr. Lelen Laplanche, die Projektverantwortliche gegenüber der Haiti-Kinderhilfe, hielt sich da komplett heraus. Sie hatte die Nachbarschaft gemeinsam mit Freunden aus der Mittelschicht schon seit 2005 unterstützt, jetzt aber um unsere Hilfe gebeten, weil viele ihrer Freunde beim Erdbeben selbst alles verloren hatten und sich nicht mehr beteiligen konnten. Seit dem Beben hatte die Familie Laplanche den Leuten regelmäßig Wasser-Lkw ins Viertel geschickt, die Lehrergehälter bezahlt, und Lelen als Ärztin kam einmal im Monat, um medizinische Grundversorgung anzubieten. In Zukunft will sie dieses Engagement ausbauen, da sie überzeugt ist, dass eine Verbesserung der Lebensumstände schneller erzielt werden kann, wenn nicht nur die Kinder Lesen und Schreiben lernen, sondern die Eltern grundlegendes Wissen vermittelt bekommen. Gedacht ist an wöchentliche Kurse zu Hygiene, Gesundheit, Bewerbungstraining und ähnliches. Einen kleinen Vorgeschmack darauf erhielt ich dann gleich; sie hielt eine flammende Rede, dass Eltern ihre Kinder unter keinen Umständen schlagen sollten. Am Ende hatte das Ganze fast Volksfestcharakter, und ich musste so ziemlich jeden einzeln und in diversen Kombinationen fotografieren. Mir gefiel der Ortstermin ausgesprochen gut, ich bin überzeugt, dass wir ein gutes Projekt ermöglicht haben, und bin schon gespannt, wie die weitere Zusammenarbeit mit den Organisatoren abläuft. Noch vor meiner Abreise soll ich den Projektantrag für die Kosten für Schulmöbel und -bücher erhalten, damit der Unterricht pünktlich am 4. Oktober zum Schuljahresbeginn aufgenommen werden kann.


Liebe Grüße,
Stephan

Montag, 13. September 2010

behandlung kranker kinder

Liebe alle,


diesen Bericht habe ich jetzt schon ein paar Tage vor mir hergeschoben, und ihn sogar nachts gewälzt, weil ich nicht wusste, wie ich meine Erfahrungen in Worte fassen sollte. Es geht um unser kostenloses Behandlungsprogramm für Kinder am Krankenhaus Notre Dame de Lourdes. Einen Tag lang wollte ich mir Zeit nehmen, um zu sehen, wie der Andrang, die Aufnahme, die Behandlung und am liebsten auch die schnelle Heilung wirken. Aber schon im Wartesaal erlitt ich meinen ersten Schock: Auf den ersten Blick sah es so aus, als säßen lediglich Abziehbilder von Kindern auf den Stühlen. Bis auf kurze Stöhner oder ein leises Wimmern war nichts zu hören. Die Bewegungen der Wartenden liefen wie in Zeitlupe ab, wohlüberlegt wie von arthrosegeplagten Senioren, und doch handelte es sich um Kinder, die ihr Teenageralter noch nicht erreicht hatten.

Wie mir von allen Seiten berichtet wird, ist der Bedarf an medizinischer Versorgung riesig. Seit die meisten Nothelfer im Juli abgezogen sind, ist die medizinische Hilfe wieder auf dem übelsten Niveau. Allerdings sind wegen des Bebens viele Menschen zusätzlich hilfsbedürftig geworden, so dass sich die Lage eindeutig verschärft hat. Außerdem funktioniert der Nachschub an Verbandsmaterial und Medikamen-ten nicht so, wie er sollte. Auch "unsere" Klinik - sie wird nicht von uns betrieben, die Haiti-Kinderhilfe hat nur den Bau finanziert - musste vorübergehend geschlossen werden, weil die Bestände aufgebraucht waren. Was für eine Katastrophe das für die Patienten sein musste, mag ich mir gar nicht vorstellen.

Seit der Wiedereröffnung des Krankenhauses werden innerhalb des Programms 30 Kinder am Vormittag aufgenommen und behandelt, Tendenz rasant ansteigend. Unsere Controller Miracle und Claudy haben alle Hände voll zu tun, um die Krankenakten inklusive eines Fotos der PatientInnen zusammenzustellen, die Ausgaben zu belegen und alles - wenn es gerade Strom gibt - im Computer zu erfassen, damit wir sicher gehen können, dass unsere Ausgaben gerechtfertigt sind. Anfangs habe er nicht so gut mit den kranken Kindern umgehen können, meinte Claudy. Jetzt habe er mehr Erfahrung und wisse, wie man auch die schwierigsten Fälle dazu bringe, kurz für ein Bild stillzuhalten... Zur echten Versorgung der PatientInnen hat die Haiti-Kinderhilfe ja außerdem zwei Krankenschwestern angestellt. Ich bin zwar nur Laie, aber sie haben auf mich einen kompetenten Eindruck gemacht, und wussten genau, was sie wann wie zu tun hatten. Alle 60 Minuten hält eine der beiden im stets überfüllten Wartezimmer einen Vortrag zu Hygienevorkehrungen, Malaria und Verhütungsmethoden, um die Begleitpersonen der Kinder zu unterrichten. Die Kinder selbst sind in so schlechtem Zustand, dass die meisten kaum wahrnehmen, wenn sie direkt angesprochen werden.



Am meisten mitgenommen hat mich der Fall der zweijährigen Berline. Ihre Mutter kam beim Erdbeben ums Leben, von ihren sechs Geschwistern sind drei in ein Waisenhaus gebracht worden, von den drei anderen fehlt jede
Spur. Sie selbst wurde von einer Tante aufgenommen, einer alleinerziehenden sechsfachen Mutter, die jetzt mit sieben Kindern in einem Zelt in der Nähe des Krankenhauses lebt. Anfang April brachte die Frau das Mädchen das erste Mal zur Behandlung. "Da haben wir ihr intravenös eine hochkonzentrierte Nährlösung verabreicht", erinnerte sich Dr. Guerlaine Laplanche, die ärztliche Leiterin der Klinik. Damals habe das Leben des Kindes auf Messers Schneide gestanden, es sei nicht sicher gewesen, ob es überhaupt noch gerettet werden könne. Dieser Besuch sei der dritte, wenngleich ihr Zustand nicht mehr ganz so kritisch sei wie damals im April. Aber der Kreislauf eines solchen Kindes mache den Jojo-Effekt bei der Ernährung nicht allzu oft mit. Wenn das Mädchen nicht endlich regelmäßiger etwas zu essen bekomme, werde sie über kurz oder lang sterben. Die Tante bestätigte diese Aussagen mit ständigem Nicken. Meine Frage, wann sie und ihre Familie denn zuletzt gegessen hätten, beantwortete sie lächelnd mit "Erst vor zwei Tagen." Ich konnte nichts darauf erwidern, und auch jetzt habe ich einen Kloß im Hals und Tränen in den Augen. Ich habe der Frau etwas Geld in die Hand gedrückt, auch wenn mir klar ist, wie willkürlich, sinnlos und hilflos das war.

Wideline war ein ähnlich erschütternder Fall. Die Zwölfjährige war alleine mit verschiedenen Taptaps von der Lalu (eine große Verbindungsstraße in Port-au-Prince, die sich aber überhaupt nicht in der Nähe unserer Klinik befindet) hergekommen, weil sie von dem kostenlosen Programm gehört hatte. Die Ärztin untersuchte das stille Mädchen auf Anämie und versuchte eine körperliche Ursache für deren Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit zu finden. Es war rührend, mitanzusehen, wie liebevoll sie das Kind behandelte und ganz unbemerkt in ein Gespräch verwickelte. Dabei stellte sich heraus, dass
Wideline beim Erdbeben zwei Tage in den Trümmern der Kathedrale verschüttet war und miterleben musste, wie die Leute um sie herum starben. Viel mehr war aus ihr nicht herauszu-bekommen. Von ihrer familiären Situation wollte sie nichts sagen, was uns nur das Schlimmste befürchten lässt. Wer sollte da keine Kopfschmerzen bekom-men? Dr. Laplanche meinte hinterher, oft müsse nicht mehr der verletzte Körper, sondern die verwundete Seele versorgt wer-den. Wideline wisse jetzt, dass sie wieder herkommen könne und ihr jemand zuhöre. Sie zum Reden zu bringen, sei in ihrem Fall die größte Hilfe. Nur so könne sie das Trauma überwinden.

Traumatisiert war auch die neunjährige Mickenia, deren Mutter ebenfalls beim Erdbeben ums Leben gekommen ist. Sie lebt jetzt bei einer Bekannten, die wie Mickenias Mutter ursprünglich aus Bel Anse stammt. Die Frau brachte sie wegen einer Entzündung am Auge in die Klinik und hörte nicht auf, sich für die kostenlose Behandlung zu bedanken. Ihr wäre es niemals möglich, das Kind zu einem Arzt zu schicken, der Geld für die Konsultation, die Laborarbeiten und die nötigen Medikamente verlange, beteuerte sie immer wieder. Nicht nur
wegen dieses Wortschwalls war Mickenias Lethargie besonders auffällig. Das Mädchen zeigte kaum Regungen, weshalb sie auf Anämie behandelt wurde. Die Vermutung, dass sie aber einfach von den Ereignissen am 12. Januar und jedem Tag danach einfach wie gelähmt ist, scheint auch für Nichtmediziner naheliegend.

 Auch wenn es der achtjährigen Carmelle so schlecht ging, dass sie nicht mehr selbst laufen konnte, so waren ihre Symptome immerhin klar auf eine Ursache zurückzuführen. Die Kleine hatte sechs Tage zuvor verdorbenen Fisch gegessen und sich seither ständig übergeben. Dadurch war sie so dehydriert, dass ihre gesamten Körperfunktionen versagten. Sie wurde stationär aufgenommen und intravenös mit Medizin sowie Elektrolyten versorgt. Unser Vereinsmitglied Dr. Heiko Faber hatte ja erst vor gut zwei Wochen das Programm besucht (siehe Blogbeitrag vom 5. September) und als Fachmann auch die Krankenakten eingesehen. Er hatte die Versorgung gut geheißen und aus den Papieren einschätzen können, dass die verordneten Therapien anschlagen müssen. Als Laie kann ich dazu natürlich nichts sagen. Mir gehen nur die Bilder der Kinder nicht mehr aus dem Kopf, die auch für Nichtmediziner sichtlich dem Tod einen Schritt näher stehen als dem Leben. Wenn ich mich jetzt an unsere Diskussion innerhalb des Vorstands erinnere, als wir das Programm eingerichtet haben, mischt sich ein bestimmt doofes Grinsen unter meine Tränen. Damals machten wir uns Sorgen, wie wir es schaffen sollten, den Andrang von Nichtbedürftigen abzuwehren...

Kenbé fem heißt es heutzutage als Gruß in den Straßen von Port-au-Prince: Halte Dich aufrecht oder Kämpfe weiter. Hoffentlich tun das alle - hier in Haiti und Ihr in Deutschland beim Spendensammeln.
Danke dafür.
Stephan Krause

Samstag, 11. September 2010

probleme mit restavek-zelten

Liebe FreundInnen Haitis,

es ist kaum zu glauben, was alles schief gehen kann. Da haben wir Ende August irgendwann eine Mail von Schwester Marthe erhalten, dass die 20 bis dahin komplett obdachlosen Restavekgruppen jetzt endlich dank uns eine perfekte Unterkunft hätten - und haben uns gefreut. In der Nachbarschaft würden sie sehr um die großen und viel stabileren Zelte beneidet. Der erste Eindruck sei immer, dass dort eine Notklinik aufgemacht werde. Auch bei meinen ersten Begegnungen mit einigen Monitoren, die diese Gruppen betreuen, erhielt ich diese Auskunft. Als ich aber in den vergangenen Tagen immer dann, wenn ich dafür Zeit hatte, mal ein solches Zelt besuchte, traute ich meinen Augen kaum: Wände, Planen und Böden passten meines Erachtens nach überhaupt nicht zueinander. Zwischen den Wänden und der Verankerung am Boden klaffte eine Lücke von mindestens 30 Zentimetern. Dennoch waren die Kinder selig. Sie könnten nun im Trockenen schlafen, erhielten Unterricht im Schatten und hätten einen Platz für sich, zählten sie bei meinem Besuch die Vorteile auf. Die süßeste Antwort auf meine Frage, wie denn die neuen Zelten seien, kam aber von einem kleinen Buben: "Das Zelt ist super, es riecht so schön neu!"


Für mich waren diese Vorteile zwar auch offensichtlich, dennoch fand ich den Zustand der Zelte nicht akzeptabel. Zuerst dachte ich, es handelt sich vielleicht genau um jene, bei denen etwas fehlte. Ihr wisst, wir hatten einige Säcke mit Bauteilen zu wenig, dafür andere zuviel geliefert bekommen und den Austausch bereits in die Wege geleitet. Meinen aktuellen Auskünften des amerikanischen Lieferanten zufolge hingen die noch nötigen Teile im Zoll in Santo Domingo fest. Erst als ich das fünfte Zelt in einem solchen bedauerlichen Zustand antraf, nagten schlimmere Zweifel
                                                                                   an mir. Wohl
in der Hoffnung, dass wir nicht einen Fehlkauf getätigt haben, gärte der Verdacht in mir, dass die Gruppen die Zelte falsch aufgebaut hatten. Ich nahm mir einen Tag Zeit, um eines der Zelte, das noch nicht aufgebaut ist, zu inspizieren. Leider war es der heißeste Tag bisher, und das Zelt ist aus gutem Grund noch nicht aufgestellt: Schon die Anlieferung der sieben Säcke dauerte über eine Woche. Der Wohnort dieser Gruppe liegt weit oben auf den Bergen von Port-au-Prince. Taptaps können das Viertel nur bis zu einem bestimmten Punkt erschließen, dann werden die Straßen zu steil und zu eng. Die letzten zwei Kilometer (gefühlte 20!) gingen dann sogar nur noch über schmale Treppen... Obwohl ich gerade die letzten Wochen beruflich viel in den Bergen unterwegs war und mich fit glaubte, dachte ich zeitweise, ich schaffe es nicht bis zu meinem Ziel. Mit hochrotem Kopf war ich kein "blan" - das heißt auf Kreolisch Weißer und zugleich Fremder - mehr, sondern ein "rouge", kurz davor wie ein Wasserkessel aus dem letzten Loch zu pfeifen. Endlich oben angekommen traf ich in der Sackgasse auf dem Dach eines anderen Hauses, dem ich nicht zutraute, mehr als fünf leichtgewichtige Restavek noch zu tragen, auf ein fast vollkommen ungeräumtes Trümmerfeld. Die Monitorfamilie klopft dort eifrig Steine klein, füllt sie in Eimer und trägt sie kilometerweise nach unten, damit auf der am Sanktnimmerleinstag entstehenden Freifläche die neue Unterkunft aufgebaut werden kann.


Die Lieferung war komplett, die Sacknummern passten zusammen, und doch zeigte sich gleich beim Auspacken des Wandgestänges und der Seitenwände, dass sie unterschiedliche Längen haben. Auch die Dachwinkel sahen merkwürdig anders aus als der Rest der Metallteile. Nach stundenlangem Tüfteln ohne einleuchtende Erklärung - Wer Haiti kennt, kann sich grinsend ausmalen, was für ein Brimborium durch mich dort entstanden ist, wieviele Menschen sich auf kleinstem Raum aufhalten können (zum Glück trug das rissige Haus unter uns mehr als ich befürchtet hatte...) und wie wenig man in der Bruhaha-Geräuschkulisse noch seine eigenen Gedanken verstehen konnte. - entschloss ich mich, trotz der immensen Kosten mit meinem deutschen Handy von Haiti aus in die USA zu telefonieren. Zum Glück erreichte ich bei den Lieferanten Mitarbeiter, die sich meinem Problem aufgeschlossen widmeten. Auch der Ingenieur, mit dem ich die Bestellung abgewickelt habe, zeigte sich aber zunächst ratlos. Ich mailte ihm - es hat was, ein hochmodernes Kommunikationsgerät zur Verfügung zu haben - Fotos von den Teilen, und man versprach, mir über Nacht eine Lösung zu präsentieren.

Auf meinem Abstieg in die Niederungen der Stadt hing ich zunächst mal meinen Gedanken nach: Wie konnten mir vorab alle sagen, dass sie so glücklich über die Zelte waren? Schwiegen die HaitianerInnen nur aus Höflichkeit, weil sie so dankbar sind, dass sie überhaupt eine ordentliche Plane über den Kopf, nicht aber um die Füße gekriegt haben? Als wir nicht mehr von hunderten Menschen aus der Nachbarschaft begleitet wurden, sondern nur noch die hartnäckigsten Kinder (die trotz Hungers, fehlenden Schuhen und konkretem Anlass scheinbar mühelos die steilsten Passagen hüpfend meisterten) am Hosenzipfel hängen hatten, begann ich mit Ronald, einem Vorstand von Mouvman vin plis moun, der mich begleitet hatte, darüber zu sprechen. Er stimmte mir zu, dass die von allen offiziellen Hilfen abgeschnittenen Menschen besonders dankbar seien und deshalb an nichts Kritik üben würden. Er meinte außerdem, dass einige Gruppen die merkwürdigen Zelte positiv bewertet hatten, weil bei Regen das Wasser einfach durchfließen könne. Viele HaitianerInnen wagten es nicht einmal ansatzweise, die Hilfen aus dem viel weiter entwickelten Ausland infrage zu stellen. - So ein Quatsch, wie sich am nächsten Tag herausstellen sollte. Denn der US-Lieferant hatte versehentlich Teile aus zwei Generationen geschickt. Boden und Wände können daher nicht zueinander passen. Obwohl wir nicht die einzigen Käufer dieser Lieferung waren, sind wir aber die einzigen, die das Problem gemeldet haben. Scheinbar werden auch die anderen Hilfsorganisationen von ihren Schützlingen als unfehlbar eingestuft...


Immerhin, nicht nur die Zelte sind - theoretisch - von guter Qualität, auch der nicht profitorientierte US-Lieferant. Am Sonntag fliegt ein Team von ihm ein, das Abhilfe schaffen soll. Die Männer sollten zunächst Ingenieurslösungen für unsere Gruppen suchen, ohne dass die stehenden Zelte abgebrochen und die Kinder wieder obdachlos werden müssen. Jetzt ist aber klar, dass lediglich an allen 20 Zelten die Gestängeteile ausgetauscht werden müssen. Und so wie es aussieht, kann das Team alles Nötige dafür auch noch rechtzeitig in der Dominikanischen Republik aus dem Zoll kriegen. - Alles auf Kosten des Lieferanten. Ich habe da größtes Vertrauen, dass die Männer das hinkriegen und bald amtliche Zelte stehen. Die Fehllieferung ist sicher nur das klassische Beispiel, wie trotz größter Umsicht Hilfsprojekte schiefgehen können. Und oft sogar ohne Wissen der Helfer... Mir dringt allerdings schon der Schweiß aus allen Poren, wenn ich nur daran denke, dass wir die nächsten Tage nochmal den Berg zu jener Gruppe erklimmen müssen, deren Zelt noch nicht steht, und dabei auch noch die Metallstangen hinauftragen müssen...

Liebe Grüße aus Haiti,
Stephan Krause

PS: Nachdem ich den kleinen Pool in meinem Guesthouse an dem Abend ausgiebig genutzt habe, bin ich übrigens auch wieder einigermaßen weiß...

Freitag, 10. September 2010

weiterbau in bellanger

Liebe FreundInnen der Haiti-Kinderhilfe,

unter erschwerten Bedingungen wird der Ausbau der Schule in Bellanger fortgesetzt. Zu unserer Freude, aber auch zu unserem Bedauern, hat Bauingenieur Guivens Sylvestre, der in unserem Patenschaftsprogramm ausgebildet worden war und zuletzt die meisten unserer Arbeiten geplant und überwacht hat, eine Anstellung bei einer US-Firma erhalten, die wohl zahlreiche offizielle Aufträge für den Wiederaufbau des Landes erhalten wird. Dadurch hat Guivens für sich und seine große Familie zwar ein sicheres Einkommen, von dem er sich auch schon ein Auto angeschafft hat, aber für uns heißt das, dass er sein ehrenamtliches Engagement doch stark einschränken muss.


Dennoch haben er und seine regelmäßig für ihn arbeitenden Männer vom Bau damit angefangen, den Schulbau in Bellanger fortzuführen. Vor gut zwei Wochen hat der Trupp damit begonnen, die Fundamente für die nächsten vier Klassenzimmer vorzubereiten. Nachdem alle Beteiligten, einschließlich der haitianischen Behörden, die Planungen jetzt endgültig abgesegnet haben, sollen sie zügig abgeschlossen werden. Die Fortführung der Arbeiten war nach der Fertigstellung der ersten beiden Klassenzimmer (Gebäude oben im Bild) verzögert worden, weil die erdbebensichere Bauweise sehr lange nicht von den Behörden abgenommen worden war.

Da durch eine chinesische Initiative in direkter Nachbarschaft auch eine weiterführende Schule für Bellanger entsteht (Bild der begonnenen Bauarbeiten unten), kommen an der Schule zahlreiche Kinder zusammen. Deshalb soll an die gemeinsamen Latrinen eine Biogasanlage angeschlossen werden. Da die Planungen für eine Anlage, die ausschließlich mit menschlichen Fäkalien betrieben wird, von Fachleuten vorgenommen werden müssen, versucht die Haiti-Kinderhilfe,  Ingenieure der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit/gtz mit ins Boot zu holen. Eine von Unicef offenbar relativ planlose Latrinenanlage, die aber ohnehin weder funktioniert noch von der Bevölkerung angenommen wird (vermutlich hat das eine mit dem anderen zu tun), muss dafür zwar abgerissen werden, aber nach einer ersten Ortsbesichtigung, scheinen das flache Gelände, der naheliegende Bach und die regelmäßige Nutzung durch die Schulkinder ideale Voraussetzungen für eine größere Anlage zu bieten, so dass dieser Schritt wohl unumgänglich ist.


Beispiele der Schulmöbel für Bellanger - für die schon Extrasponsoren gefunden wurden - werde ich in den kommenden Tagen in einem Projekt in Port-au-Prince besichtigen können. Nachdem die in San Marc angeschafften Tische nach nur einem Jahr schon verschlissen sind, wollen die Tonel-pa-nou-Verantwortlichen den Handwerkern dieses Mal besser auf die Finger sehen. "Mir gefällt das", würde es auf Facebook heißen...

Liebe Grüße für heute aus Port-au-Prince,
Stephan Krause

Donnerstag, 9. September 2010

BIOGASANLAGE STEHT !!!!!

Liebe FreundInnen Haitis,

der Prototyp für die Biogas-Kleinanlage, die später beim Regelbetrieb armen Familien das Gas zum Kochen produzieren soll, steht!!! Zwar war die Kommunikation mit Haiti heute unerträglich. Aber diese gute Nachricht kam bei den immer wieder unterbrochenen 17 Skype- und Handy-Anrufen immerhin rüber...

Offenbar hat das Biogas-Team der Studenten mit einfachsten Mitteln - so wurde das Loch in die Tanks nicht etwa gebohrt, sondern mit einem im offenen Feuer erhitzten Metall durchgeglüht - gestern richtig gute Arbeit geleistet, Stephan war ganz euphorisch. Heute Nachmittag sollen die letzten Dichtungsarbeiten ausgeführt werden. Diesen Abschluss hatte ein Wahnsinnsgewitter verhindert.

Stephan meinte, die beteiligten Studenten hätten großartige Arbeit geleistet und seien hoch motiviert. Sie träumten schon von den blühenden Landschaften, die überall entstehen könnten, weil die Abholzung Haitis mit der Weiterverbreitung der Anlagen gestoppt werden könne. Utopien zwar, aber wir sind doch einen Schritt näher dran! Stephan hat den Aufbau in Bildern dokumentiert und wird einen echten "Erlebnisbericht" schicken, dazu ist er aber noch nicht gekommen - ganz abgesehen davon, dass bei den heutigen Verbindungsproblemen sowieso nichts durchgegangen wäre. Damit Ihr Euch aber ein Bild von den Anlagen machen könnt, habe ich wenigstens Fotos von den indischen und tansanischen Vorbildern hier mal eingestellt.


Als letzte Aufgabe, ehe der Gärprozess auch in Haiti beginnen kann, muss jetzt nur noch das richtige Startgemisch aus Kuhdung und Essensabfällen zusammengemixt werden. Einer der Jungs darf deshalb in den nächsten Tagen aufs Land fahren, um Kuhmist in die Stadt zu holen...

Strahlende Grüße,
heike (& Stephan)

Mittwoch, 8. September 2010

ausbau in san marc im zeitplan


Die Erweiterung der Schule Fleurenceau in San Marc liegt im Zeitplan. Der Ausbau um sieben Klassenzimmer wird nach Angaben der Schulleitung bis zum Schuljahresbeginn am 4. Oktober soweit fertiggestellt sein, dass die neuen Klassen unterrichtet werden können. Für die Erweiterung war auf zwei existierende Gebäude der Schule ein weiteres Stockwerk gesetzt worden.


Das einzig Störende beim Besuch der Anlage war, dass die bereits vor Jahren hinzugefügten Klassenräume noch immer nicht verputzt worden sind - und vermutlich auch die neuen Klassenzimmer in relativ rohem Bauzustand bleiben werden, wenn wir nicht Entsprechendes einfordern. Ich habe deshalb um Kostenvoranschläge für das Verputzen gebeten.


Zugleich führte das Patenschaftskomitee unseres haitianischen Partnervereins Tonel pa nou, vertreten durch Vereinschef Acédius Saintlouis, Komiteepräsident Guivens Sylvestre, Generalsekretär André Paul und IT-Beauftragter Laumenaire Viltus, die neuen Patenkinder in die Organisation ein. Den Schülern und Eltern wurde dabei erläutert, unter welchen Bedingungen das Schulgeld bezahlt wird. Immerhin 41 Kinder und ihre Familien fanden sich zu dem Treffen ein, das in den Ferien nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda in den Armenvierteln von San Marc angekündigt worden war. Obwohl die Kinder - typisch Haiti Chérie... - ihre Unterlagen nicht beieinander hatten, und die Schülerakten nicht komplett waren, hat sich aber schon herausgestellt, dass 19 der Anwesenden tatsächlich Erdbebenflüchtlinge aus Port-au-Prince waren. Ihre Familien haben ausdrücklich bestätigt, dass sie nun wegen des kostenfreien Schulbesuchs ihrer Kinder nicht in die Hauptstadt zurückkehren werden. Insofern haben sich die Hoffnungen des Vorstands, durch den Ausbau auch echte Erdbebenhilfe zu leisten, wirklich bestätigt. Ganz abgesehen davon, einen Beitrag gegen die Landflucht geleistet zu haben.


Liebe Grüße für heute,
Stephan Krause