Freitag, 2. März 2012

Hallo aus Haiti.

Am Mittwoch Vormittag besuchten wir die kleine Schule Centre Pedagogique am Montage Noire. Neben der Sandstraße muss man einige große Stufen nach unten gehen und kommt dann zu einem sehr desolaten Flachbau. Innen sind die Räume fast nicht aufgeteilt und es werden mehrere Klassen gleichzeitig unterrichtet. Nachdem hier noch sehr viel mit auswendig Lernen und laut dem Lehrer nachsprechen unterrichtet wird, ist es sehr laut. Ich fand die Situation absolut bedrückend und stressig für die Schüler. Ja, diese Kinder haben wirklich eine einmalige Chance, wenn sie in einigen Monaten in die neue Schule umziehen dürfen, die wir schon am Montag besichtigt hatten.
Danach fahren wir zu den Schwestern des Mutter Teresa Ordens, ein Schlagloch am anderen, Stau wie immer, extremer Staub in der Luft. Bei den Schwestern wird derzeit ein neues großes Heim errichtet. Das alte Gebäude fiel dem Erbeben zum Opfer. Wir dürfen alles besichtigen und Julia bleibt im Heim um dort zu helfen. Es sind dort momentan 80 Kinder in der Unterernährten-Station untergebracht. Dadurch, dass das alte Heim nicht mehr existiert herrscht in den bestehenden Räumen eine unerträgliche Enge. Die Kinder liegen zu zweit und dritt in den kleinen Betten. Roswitha und ich fahren weiter zum Krankenhaus Notre Dame de Lourdes. Es ist schon fast mittags und nur noch einige Mütter mit Kindern sind da. Dr. Laplanche, die Leiterin der Klini erklärt uns immer wieder, wie wichtig das Kinderbehandlungs-Programm ist und wie viele Kinder sonst schon gestorben wären.
Sie zeigt uns einen großen Karton mit Brot und Erdnussbutter und erzählt, dass sie ein weiteres kleines Programm, das immer mittwochs ab 14.30 Uhr stattfindet, gestartet hat. Sie kümmert sich in diesem Programm um Teenager, die alle schwanger waren oder sind, teilweise auch schon zwei Kinder haben. Dr. Laplanche unterweist ganz unterschwellig in Hygiene, Verhütung, Kinderpflege. Alle Mädchen sind Analphabeten, haben kein Einkommen, keinerlei  Unterstützung durch die Väter der Kinder, die alle schon wieder ‚verschwunden‘ sind. Alle sind vollkommen auf sich selbst gestellt, fast alle leben in Cité Soleil.
Der Karton mit dem Essen ist also für diese Frauen und die mitgebrachten kleinen Kinder, die immer Grang gou – HUNGER haben. Wir sind eingeladen an dem Nachmittag teilzunehmen.
Durch die Staus kommen wir ein bisschen zu spät. Es sind mindestens 20 Frauen/Teenager da. Auch einige Kinder. Es herrscht eine sehr entspannte Stimmung. Vorgesehen ist, dass die Frauen auch Basiskenntnisse in Rechnen und Schreiben bekommen sollen. Wenn sie ein gewisses Niveau erreicht haben, will Dr. Laplanche versuchen, sie alle eine Ausbildung als Friseuse machen zu lassen. Sie verhandelt gerade mit einer Schule über die Gebühren. Die Ausbildung dauert etwa sechs Monate. Mit der Ausbildung, einer Miniausstattung mit Haarbürsten, eventuell einem Haartrockner könnten die Mädchen sich in Ihren Vierteln ein bisschen Geld verdienen. Einige waren schon ‚Marktfrauen‘ und träumen davon in diesem Metier wieder zu starten. Aufgehört haben sie immer wegen irgendwelcher Umstände. Eine ist zusammengeschlagen worden und hatte Verletzungen im Gesicht, sie brauchte ihre Minireserve die für den nächsten Kauf der Ware war, für die Behandlung und somit war das Kapital komplett weg. Es gab noch weitere solcher Geschichten – dumme Umstände und dann sind sofort die minimalsten Reserven für den nächsten Kauf verbraucht. Jede von ihnen erzählte ein bisschen ihre Geschichte. Ein kleines junges Ding, geschätzt auf 14, sie meinte aber sie sei 16, hochschwanger, alleine gelassen, wirklich mager, sie wusste auch nicht, in welchem Monat sie war….. Eine andere junge Frau, vielleicht 18, auch schon ein Kind, wurde vor einigen Tagen von vier Männern vergewaltigt. Ich habe von allen Frauen Fotos gemacht und versprochen die entwickelten Bilder nächsten Mittwoch vorbei zu bringen. Die Freude darauf war riesig. Woher kennt Dr. Laplanche diese Gruppe? Alle jungen Frauen sind selbst oder ihre Kinder, im Rahmen des Kinderbehandlungs-Projekts behandelt worden.
In Port-au-Prince gibt es Zehntausende solcher Schicksale. Diese jungen Frauen, die mit 16 bereits zum zweiten Mal schwanger sind, sind sich ihrer Situation total bewusst und trotzdem finden sie keinen Ausweg aus der Spirale von Hunger, Schwangerschaft, Gewalt. Noch keine dieser Frauen hat jemals davon gehört, dass man eine Spirale einsetzen könnte oder eine Sterilisation möglich ist.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen