Heute morgen um 8:00 Uhr waren wir mit Rachelle in
Petionville verabredet, um endlich die Patenschaftsunterlagen komplett
fertigzustellen. Gestern Abend sprachen wir noch mit dem Direktor der Schule in
Bellager, dass er sich ebenfalls heute Vormittag mit uns treffen sollte, damit
wir die Spielgeräte gemeinsam aussuchen könnten. Er war sofort bereit zu
kommen.
Dann die Überraschung heute morgen: Schon wieder ein platter
Reifen, diese Mal vorne rechts. Wir pumpen mit einem kleinen Kompressor
ungefähr ein halbe Stunde, bis er einigermaßen prall ist. Man hört aber
deutlich, dass irgendwo Luft entweicht und wir dringend den Reifen reparieren lassen
müssen. Zum Wechseln hat weder Roswitha noch ich Lust, wir werden versuchen so
in die Stadt herunter zu fahren und dann gleich den Reifen flicken zu lassen.
Um kurz nach acht sind wir im Quartier Latin, wo wir endlich
mal wieder unsere Mails lesen können. Irgendwie ist das Leben ohne Internet
schwierig, wenn man immer auf der Suche nach einem funktionierenden Netz ist.
Wir besprechen noch mal unsere Arbeitsteilung. Bank, Spielgeräte,
Reifenflicken. Das sollen meine Aufgaben sein. Bei der Bank die Kontoauszüge zu
holen, was in Haiti normalerweise kein einfaches Unterfangen ist, war dennoch ganz
schnell erledigt. Schlangen stehen am Monatsanfang in den Reihen vor der Kasse.
Die Kontoauszüge, die wir schon vor Wochen bestellt haben, sind natürlich nicht
fertig. Ich dachte schon, mich auf eine lange Wartezeit einzurichten, was aber
gar nicht nötig war. Ganz in der Nähe befindet sich eine Reifenwerkstatt, die
wir aber nur mit Hilfe eines Passanten erreichen, der sich kurzerhand mit ins Auto
setzte, als wir nach dem Weg fragten. In Petionville sind alle Straßen neu in
Einbahnstraßen aufgeteilt, deren Verlauf man erst mal lernen muss. Jedenfalls ist
der Reifen fast schon wieder platt, als wir endlich die Werkstatt erreichen.
Der Mechaniker baut den Reifen aus und zeigt mir dann auch im Wasserbecken, wie
groß das Loch ist und dass es leider nicht mehr zu reparieren ist. Es drückt
sich bereits der Stahldraht des Reifengürtels aus dem Gummi heraus. Er zieht
den Ersatzreifen drauf, der auch schon in einem jämmerlichen Zustand ist. Mir
schwant, dass ich heute einen großen Teil meiner Zeit im Avis-Warteraum verbringen
werde. Jean Claude, der Direktor von Bellager, ist bereit mich zu begleiten.
Auf dem Weg herunter zur Flughafenstraße fahren wir bei Mr.Domilus (eine Art
Baumarkt) vorbei, um die Spielgeräte auszusuchen und einen Kostenvoranschlag zu
bestellen. Alles geht recht flott und wir kommen um halb 12 bei Avis an. Der
junge Mann am Empfang nimmt unser Anliegen auf und schickt uns dann weiter in
den Warteraum. Bevor ich gehe, nerve ich die Monteure noch schrecklich, weil
ich eindringlich auf fünf neuen Reifen bestehe. Mehrmals gehe ich zurück und
erkläre, dass wir jeden Tag große Schwierigkeiten hätten, den steilen Weg zum
Montagne-Noire rauf zu fahren. Man erklärt mir, dass die Reifen in einer halben
Stunde montiert seien. Nach eineinhalb Stunden, um kurz vor eins gehen wir
wieder raus zur Werkstatt, weil bisher noch niemand unser Auto zurückgebracht
hat und wir nicht sicher sind, wie das vonstatten geht. Im vollklimatisierten
Warteraum mit Großbildschirm warten noch etliche andere Leute auf ihr Auto. Ein
Haitianer, der schon vor uns da war, folgt uns dann auch gleich. Wahrscheinlich
aus Angst, dass wir bevorzugt werden könnten. An der Werkstatt angekommen,
nervt Jean Claude die Leute dort und wir beschweren uns, dass wir so lange auf
einen Reifenwechsel warten müssen. Der Haitianer spricht uns an und erzählt,
dass er einen Service am Wagen machen lassen wollte, weil er so schlecht starte,
und er schon seit morgens um 8 Uhr ohne irgendwelche Information im Warteraum herumsitze.
Ich gehe noch einmal in Richtung Werkstatt und werde umgehend vom
Sicherheitsdienst wieder in den Warteraum zurückgebracht. Aber offensichtlich
hatten sie doch genug von mir, und kurze Zeit später steht das Auto mit
nagelneuen Reifen vor der Tür. Wir konnten um 14 Uhr nach „nur“ zweieihalb
Stunden Wartezeit wieder zurück nach Petionville fahren, wo wir bei der
Schulbuchdruckerei eine weitere Aufgabe erfüllen können, nämlich drei lange
Listen Schulmaterial zu bestellen. Der Verkehr war grauenhaft, um 14.00 Uhr
gehen die Schüler nach Hause, meistens werden sie abgeholt oder fahren mit
TapTaps oder Mopedtaxis in ihre Stadtteile zurück. Verkehr, soweit das Auge
reichte! Dann immer wieder Autos mit verschiedenen Pannen, die mitten auf der Straße
repariert werden. Der Verkehr aus beiden Richtungen erlahmt dann vollkommen,
weil keiner bereit ist zu warten und einen anderen passieren zu lassen. Ich
merke, dass ich genauso fahre, da ich nur noch weiter will und keine Lust habe,
die Delmas 6 km den Berg hoch zu stehen.
Endlich, nach 15:00 treffen wir endlich in Petionville ein und fallen
fast vor Hunger um. Mein Frühstück um halb 7, eine Banane, eine Mango und eine
Tasse Kaffee, habe ich längst verdaut während des Verkehrsstresses, Jean
Claude, der schon seit halb 6 Uhr von Cabaret aus auf der Straße unterwegs ist,
hat überhaupt noch nichts gegessen. Wir kaufen uns an der Straße jeder eine
Portion Reis mit Hühnchen, Banane pesè, Karotten-Kohlgemüse und Pickles. Ein
richtig guter Tipp von Rachelle- es schmeckte prima. Während die anderen noch
essen, ich aber schon im Heißhunger alles heruntergeschlungen habe, gehe ich
noch über die Straße um in einem Eisen- und Haushaltwarengeschäft ein paar
Bilderrahmen zu kaufen. Wir haben für Bellager von jeder Klasse ein Gruppenfoto
gemacht und diese vergrößern lassen. Diese Fotos wollen wir den Klassen nun
gerahmt schenken. Leider finde ich keine Rahmen, aber dafür einen ganzen Kreis
netter Verkäuferinnen, die mich umringen, um die Fotos von den netten Kindern
anzuschauen. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte die Rahmen bekommen… Wir
sind gestärkt und erledigen unsere restlichen Einkäufe. Leider bekommen wir nur
einen Teil der Schulmaterialien in Petionville und müssen nun doch noch einen weiteren
Tag einplanen, an dem wir an der Flughafenstrasse ins Hauptgeschäft gehen. Um
17:00 Uhr endlich entlassen wir Jean Claude, damit er nach Bellager bzw.
Cabaret zurückfahren kann. Wir hatten den Tag über viel Zeit für Gespräche, er
erzählte mir über sein Leben in Haiti, dass er, wenn es eine Gelegenheit dazu
gäbe, sofort mit seiner Familie ins Ausland ginge. Er liebe sein Land und würde
niemals an Emigration denken, wenn er mit seiner Familie in einer wirtschaftlich
einigermaßen sicheren Lage wäre. Trotz seiner Lehrerstelle reicht sein Gehalt
kaum aus, seine kleine Familie, Frau und ein Kind mit drei Monaten, zu
ernähren. Er hat hohe Beförderungskosten, da er einige Kilometer weg von der
Schule in den Bergen wohnt. In Cabaret oder Bellager konnte er keine für ihn
bezahlbare Wohnung finden. Mir tut es weh, wie schlecht es den Leute geht und dass
keine Besserung für die Masse der Menschen in Sicht ist. Jean Claude sagte auch
ganz frei heraus, dass er sich für Politik nicht interessiere, da die Menschen
immer nur enttäuscht würden, er vertraue allein auf die Kraft der Menschen, das
Elend zu überleben.
Ich bin ganz platt vom Tag und davon, wieder so wenig
erledigt zu haben, im Vergleich zum Zeitaufwand. Ich brauche mein Bier, eine
Dusche und ein Bett.
Wir sind auf Corona Bier aus Mexiko umgestiegen.
Morgen früh bin ich mit Guerino um 7 Uhr bei Henfrasa
verabredet, wir haben uns viel vorgenommen, das Motto ist immer gleich- wenn
die Hälfte erledigt ist, können wir uns glücklich schätzen.
Conny Rébert Graumann
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